Eddy Epos: Kapitel I – Wie alles begann

Schaue ich auf meine Reise im Coronajahr 2020 zurück, war sie einerseits unfreiwillig kurz und andererseits im Prinzip getrieben von zwei großen Geschichten, die mich auch bis heute nachhaltig beeinflussen. Dem Desaster, des Krankenhausaufenthalts in Argentinien und der chaotischen Rückreise nach Deutschland. Und einer zweiten Geschichte, die man sehr wohl in den einzelnen Posts verfolgen kann, aber bisher nicht als solche niedergeschrieben wurde. Der Eddy Epos. Dem Jungen aus Trinidad, der mich, ohne dass ich es damals ahnen konnte, über die nächsten zwei Jahre verfolgen sollte.

Vorwort

Wie der geneigte Leser schon bald herausfinden wird, lässt sich Eddy nicht in einem einzigen Kapitel zusammenfassen. Mal nachvollziehend, mal stirnrunzelnd, mal verwirrt und manchmal auch einfach die Hoffnung aufgebend irgendeinen sinnvollen Zusammenhang seines Handelns zu entdecken nahm ich im Laufe unserer Freundschaft seine Geschichten auf. Verfolgte sein, für unsere Verhältnisse, durchaus außergewöhnliches Leben in einem außergewöhnlichen Land während einer außergewöhnlichen Zeit. Von unserem ersten Kennenlernen auf Kuba, durch die Corona Zeit und die dabei entstehende schwere Wirtschaftskrise, die Kuba seitdem beutelt, blieben wir mal enger und mal nicht so eng in Kontakt. Nun stehen neue Herausforderungen bevor, bei denen viel gewonnen werden kann, aber auch sehr viel auf dem Spiel steht. Aus diesem Grunde möchte ich mir hier die Zeit nehmen in insgesamt drei Kapiteln meine Zeit mit Eddy zu beschreiben.

Kapitel I – Wie alles begann

Die Reise begann damals auf Kuba und wie der Zufall es so wollte, fuhr ich eines Tages auf den Rat eines anderen Reisenden nach Trinidad. Santa Clara, der Ort in dem ich Mattia traf, war eher langweilig und hatte nicht all zu viel zu bieten. So fuhr ich einen Tag früher als geplant von dort ab. Ich hatte mir die erste Lebensmittelvergiftung oder Reisekrankheit eingefangen, sodass ich die Busfahrt nur mit flauem Magen überlebte und froh war nicht den ganzen Bus vollgekotzt zu haben. So konnte ich an diesem ersten Tag meine Casa nicht verlassen und suchte erst am folgenden Tag die Musik-Treppen auf, von denen mir Mattia so vorschwärmte.

Ich traf ihn dort wieder und lernte ein paar andere Reisende kennen. Ein paar nette Kontakte um die Zeit zu vertreiben, aber die meisten waren schon länger hier. So brach ich am nächsten Tag zunächst alleine auf in die Toppes de Collantes auf, wo ich Wyatt und Katrina kennenlernte. Auch sie waren schon länger in Trinidad und wollten am nächsten Tag nach Havanna aufbrechen. So verabredeten wir uns für das nähernde Wochenende, welches ihr letztes auf Kuba sein sollte in der Hauptstadt.

Den nächsten Tag verbrachte ich recht lustlos mal hier und dort in der kleinen Stadt, in der man hervorragend einfach herumstreunen kann. Bei meinen Wegen an der Treppe vorbei fiel mir immer wieder ein blonder Tourist auf, der dort scheinbar den ganzen Tag verbrachte. Als es endlich dunkel wurde und die Kneipen aufmachten, setzte ich mich zu ihm.

Er war Engländer, hieß Joey und arbeitete seit kurzem als Surflehrer auf den Cayman Islands. Ja, das Steuerparadies, wo man so schön Schwarzgeld parken kann. Er hatte irgendein Problem mit seiner Kreditkarte und war deshalb den ganzen Tag verzweifelt dabei zu versuchen sich über das kubanische Internet an eine amerikanische Webseite zu verbinden, die ihn auf sein englisches Konto lässt, was natürlich wegen der schlechten Verbindung und des Embargos – auch im Internet – seitens der USA einfach gar nicht funktionieren wollte. Wir kamen ins Gespräch und so wurde aus dem Nachmittag Abend und weil die Cocktails so gut schmeckten, verging auch dieser und es wurde Nacht. Wir waren inzwischen umzingelt von anderen Touristen, die allesamt (mal wieder) schon länger dort waren und ihren letzten Tag dort verbrachten. Inmitten dieser Gruppe strahlte mich ein Gesicht an, das so gar nicht wie das eines Touristen aussah.

Eddy

So richtig lernten wir uns an diesem Abend in der Beatles Bar kennen, als unsere mittlerweile etwas kleiner gewordene Gruppe, jungen Kubanern im Land des Salsa und Son beim Headbangen zu Metal-Mukke zuschauten. Am nächsten Tag suchte ich ihn an seinem Markstand auf. Die kuriosen Begleitumstände dieses Abenteuers sind hier beschrieben. Als ich ihm am Nachmittag erzählte, dass ich am nächsten Tag nach Havanna wollte, wurde er traurig. Warum ich den schon fahren wollen würde? Ob ich es in Trinidad nicht mag? Er hat immer Freitags frei und wir könnten doch was schönes machen. Nur er und ich. Wenn ich nun einfach gehen würde, er wüsste gar nicht wie er seinen freien Tag verbringen soll, sagte er mir mit trauriger Miene. Wie soll dass denn ein toller Tag werden, wenn du nicht bei mir bist Sebastian, fragt er mich niedergeschlagen.

Das Taxi umzubestellen war definitiv kein Problem und auch Wyatt und Katrina zeigten sich verständnisvoll. So fuhren wir am nächsten Tag an den Strand und verbrachten dort, trotz einiger Rückschläge beim Fahrradverleih, einen schönen Tag. Er endete damit, dass Eddy seine Aufmerksamkeit ganz auf zwei spanische Touristinnen lenkte und mich fragte ob ich sie schön finden würde.

Ich sagte meinen extra zuvor auf Spanisch auswendig gelernten Satz auf „Me gusta los chicos.“. Grammatikalisch falsch wie ich heute weiß, hat er dennoch seine Wirkung nicht verfehlt. Eddy antwortet auf Spanisch, ich verstehe ihn nicht und wir finden uns in einem Moment interkultureller Schwierigkeiten ohne passenden Übersetzer, in dem ich bereue im Spanischunterricht nicht besser aufgepasst zu haben und er merkt, dass sein gebrochenes Englisch nicht ausreicht um auszudrücken, was er ausdrücken will und schließlich nur sagt „Girls, Girls“. So war die Sache besiegelt, wir baten eine der beiden Spanierinnen ein Foto von uns zu machen und brachen wieder auf in die Stadt.

Das Abschiedsfoto meines ersten Aufenthalts

Am Abend sahen wir uns auf den Treppenstufen wieder. Ich habe mich entschieden am nächsten Tag nun aber wirklich nach Havanna zu fahren und erzählte ihm davon. Das ignorierte er einfach und gemeinsam mit einem seiner Freunde tranken wir ein paar Cocktails. Als ich dann gehen wollte stellte Eddy sich bockig und sagte patzig: „Dann geh doch“, drehte sich zu seinem Kumpel um und redete mit ihm weiter. Das kam mir merkwürdig vor, denn es passte so gar nicht zu Eddy vor einem Tag, der quasi kurz davor war sich vor Weltschmerz das Hemd auf der Brust zu zerreißen, ob der Tragödie, die mein baldiges gehen auf sein sowieso schon von Schwierigkeiten gebeuteltes Leben loszulassen drohte. Mir fiel eine Flasche Rum ein, die ich noch im Rucksack hatte und von der ich wusste, dass er sie haben wollen würde. Also bot ich ihm am sie ihm zu schenken, wenn er sie sich abholt. Zögerlich stimmte er zu. Er sang mir ein wenig Adele vor und der Abend endete letztendlich damit, dass er weinend in meinem Zimmer stand, sich für die Flasche Rum bedankte und mich mit Tränen in den Augen fragte, ob ich nicht doch noch einen Tag bleiben wollen würde. Ich wurde nicht schlau aus ihm – was auch bis heute so geblieben ist – und entschied mich dennoch zu gehen.

Auf Irrfahrt durch Kuba

Das Taxi nach Havanna teilte ich mir mit drei polnischen Mädels, die sich die meiste Zeit entrüstet darüber zeigten, dass ihnen am heutigen Tage noch kein einziger Kubaner hinterhergepfiffen hat. Ich genieße die Klimaanlage, die wir in dem relativ neuem MG haben und stelle mir 4 Stunden lang die Frage ob es wirklich das richtige war nach Havanna zu fahren. Im Hostel lernte ich eine Britin in meinem Alter kennen, die mich an die Hand nahm und mir einen ersten Eindruck von Havanna verschaffte. Ich erzählte ihr von meinem Dilemma und fragte sie ob ich wohl zurück fahren sollte. Klar und unerbittlich verneinte sie dies. „Too many red flags“ sagte sie, als wir bei Platzregen in einem Restaurant der 50er Jahre sitzen und einen Hamburger aßen. Am Abend dann treffen wir Wyatt und Katrina in der Fabrica del Arte Cubano. Während wir uns die Kunstaustellung anschauen erzähle ich den beiden von meinem Zwiespalt und frage sie ob ich zurückfahren sollte. Ja, sagt Katrina mit einem Cocktail in der Hand als wir vor einem der Bilder stehen, das aber weder sie noch ich so wirklich betrachten. „Ich glaube nicht“, sagt Wyatt etwas vorsichtiger. Damit steht es 1:2. Wir rauchen eine der Zigarren aus Viñales und am nächsten Tag fliegen die beiden nach Hause.

Wyatt lässt mich an einer seiner Zigarren ziehen.

Ich hingegen werde in meinem Hostel zum Essen eingeladen. Meine britische Freundin hat ein paar andere Engländer aufgetrieben und gemeinsam mit der Reinigungskraft wollen sie was kubanisches kochen. Das seien coole Leute sagt sie mir, als wir gerade in der Hostel-Lobby sitzen und ich ein auffällig blondes Büschel Haar am Fenster vorbei laufen sehe. Herein kommt Joey, der in seinem Schritt anhält als er mich sieht und wir uns freudig zur Begrüßung umarmen, in diesem einen Hostel in der 2 Millionen Einwohnerstadt Havanna, die 320 km, oder 4 kubanische Autostunden von dem Ort entfernt ist, an dem wir uns kennengelernt haben. Joey hat nicht so wirklich eine Meinung, glaubt aber, dass er eher nicht zurückfahren würde. 1:3.

Die Tage in Havanna vergehen und weil ich mich verlaufe und an einem total falschen Ort auf die Walking Tour in der heißen Mittagssonne warte, setzt sich an einem kleinen Platz neben der Floridita-Bar in Havanna jemand, der mir schon auf der Toppes de Collantes Fahrt aufgefallen ist. Sein Name ist Marcos, und in einigen wenigen Wochen wird er mich zu sich in sein Zuhause in Buenos Aires einladen, womit der Grundstein für den zweiten Epos dieser Reise gelegt wurde.

Die Walking Tour konnte ich dann am nächsten Tag nachholen. Dort lernte ich zwei nette deutsche Touristinnen kennen, mit denen ich im Anschluss noch etwas trinken gegangen bin. Sie fanden die Geschichte spannend, votierten aber beide mit Nein. Allerdings wünschten sie mir viel Glück, sollte ich dennoch zurückfahren: 1:5, verdammt.

Havanna bockt mich so gar nicht und eher enttäuscht verlasse ich die Stadt Richtung Viñales, weitere 200 km, bzw. 3 kubanische Autostunden von Trinidad entfernt. Ich klaue mir eng an die Wand des Hostels gelehnt noch etwas Internet um mit Sonja zu telefonieren als das Taxi ankommt, in dem ich Koustabh kennenlerne. Noch immer nicht sicher was ich tun soll und angesichts meines nahenden Geburtstags der in weniger als einer Woche anstand erzähle ich Koustabh von meinem inneren Zerwürfnis und er sagt man solle sich da doch schon eher mal gehen lassen: 2:5.

Ein indisches Pärchen finden wir in Viñales zwar nicht, aber wir treffen dort auf einer Reit-Tour Inez und Wouter. Inez und Wouter sind nette Menschen und Reitbegleiter. Vor Allem aber haben sie ein Auto mit dem sie am folgenden Tag in einer monströsen Tour von Viñales die 413 km nach Cienfuegos fahren, welches nur etwa 100km von Trinidad entfernt liegt. Dort wurde mit keinem Zaunpfahl mehr gewunken, da wurden ganze Zäune ausgerissen. So habe ich mir erspart sie mit der selben Frage zu belästigen, mit der sich mittlerweile halb Kuba beschäftigen musste und bat sie einfach mich mitzunehmen. Am Freitagmorgen ging in Viñales die Welt in einem gewaltigen Regenfall unter und schon auf dem kurzen Weg zum Auto waren wir so durchnässt, als wären wir ins Meer gefallen. Mit reduzierter Geschwindigkeit und einem mutigen Scheibenwischer, der auf Maximalgeschwindigkeit tapfer seinen Dienst verrichtete, bat ich Wouter diese CD einzulegen, die ich mir in Trinidad kaufte, aber mangels CD-Player vorher nicht hören konnte. Was ich wohl in Cienfuegos wolle, fragt mich Inez. „Also das war so…“ beginne ich den beiden von dieser Geschichte zu erzählen.

Sechs stunden später in Cienfuegos angekommen, setze ich mich in ein Taxi und lasse mich alleine nach Trinidad bringen. Das ist teuer, macht mir aber nichts aus, denn wenn der Taxifahrer sich ein bisschen beeilt, dann sind wir vor 18 Uhr in Trinidad und ich kann Eddy noch am selben Tag überraschen. Ein Handy hatte er nicht, sodass es unmöglich gewesen wäre ihn zu kontaktieren. So drückt der Taxifahrer noch ein bisschen aufs Gas und pünktlich um 17 Uhr bin ich an meiner Casa. Schnell eingecheckt und zum Markt gerannt und dann… fiel mir ein, dass Freitag ja Ruhetag war.

Schon etwas enttäuscht gehe ich zu den Treppen um dort nach Eddy zu suchen und weil es noch zu früh ist vertreibe mir die Zeit mit einigen Cocktails. Da ruft jemand laut meinen Namen. Wild winkend entdecke ich meine beiden Begleiterinnen der Walking Tour in Havanna in einer der anliegenden Bars. Als sie erfahren, dass ich gerade erst angekommen bin und nach Eddy suche sind sie ganz hin und weg und schließen sich mir bei meiner Suche an. An diesem Tag sollen wir leider keinen Erfolg haben.

So stehe ich am nächsten Tag früh auf, setze mich an die noch leere Straße und warte darauf, dass der Markt so langsam anfängt zu leben. Immer mehr Stände werden aufgebaut und langsam bekomme ich sorge, dass auch dieses Warten vergebens sein wird. Dann aber um kurz vor 9 kommt Eddy um die Ecke. Er sieht mich, fängt an zu grinsen. Wir umarmen uns und mit einem unleserlichen Ausdruck im Gesicht fragt mich der Junge wegen dem ich seit zwei Wochen überlege was ich tun soll, jedem dahergelaufenen um seine Meinung bitte und am vorherigen Tag 9 Stunden im Auto saß: „Wie heißt du nochmal?“ Na Toll…

Auch die Frau, die mir bei unserem ersten Treffen seinen Zettel gab erkannte mich wieder und sagte erstaunt mehr zu sich selbst „Du bist wiedergekommen?!“.

Inez und Wouter treffen wir an diesem Abend auch an den Treppen. Sie fanden Cienfuegos nicht so spannend und sind lieber nach Trinidad gekommen. Auch in der Hoffnung zu sehen was aus der Geschichte geworden ist. Einen Tag vor meinem Geburtstag lerne ich Eddys Oma kennen.

Der Geburtstag selber war dann von Höhen und Tiefen geprägt. Wir hatten einen schönen Tag und ich meine erste so richtige Lebensmittelvergiftung. Und weil ich wild kotzend zuhause lag und eigentlich gar nicht mehr zu Eddy wollte, und dort erst recht nicht mal an irgendwas zu Essen denken wollte, blieb ich einfach liegen. Bis ich einen Anruf bekam. Eine kubanische Nummer rief mich an und Eddy meldete sich mit seinem schönen gebrochenen Englisch.

Es war die Nummer seiner Mutter und weil Eddy sehr, sehr traurig klang, als ich ihm von meiner Lage und meinem Unwillen erklärte, entschied ich mich, dann lieber doch zu gehen und lernte seine Familie kennen. Die wohnte eigentlich in Santa Clara, war aber heute zu besuch.

Nach diesen zwei ereignisreichen Tagen ist es Zeit sich von Kuba zu verabschieden. Mein Flug nach St. Lucia wartete, wo ich auf ein Segelboot steigen wollte. Am Tag meiner Abreise sehen wir uns zum letzten Mal auf diesem Marktplatz und wie der Zufall es will, kommen auch Inez und Wouter vorbei.

Diesmal in einem alten sowjetischen Lada und ohne Klimaanlage, dafür definitiv mit original ausgesessener Ausstattung aus den 80ern ging es mit weit weniger betrüblichen Gefühlen zurück nach Havanna. War doch ganz schön auf Kuba. Leider hat Eddy kein Handy. So ist es unmöglich in Kontakt zu bleiben.

Vorschau

Im nächsten Kapitel geht es um Corona, Zigarren, eine Pizzabäckerei und Langeweile, während sich die schwerste Wirtschaftskrise Kubas seit dem Fall der Sowjetunion entfaltet.

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