Eddy Epos: Kapitel II – Corona

Nachdem Corona die Welt lahmgelegt hat, komme ich aus einem argentinischen Krankenhaus frei, während auf Kuba der Tourismus zum erliegen kommt. Ein Einreisestopp legt den wichtigsten Wirtschaftssektor des Landes lahm und das Embargo der USA wird durch Trump sogar noch verschärft.

Während in Deutschland Spazierengehen Hochkonjunktur hat, darf auf Kuba niemand das Haus verlassen, wenn es nicht einem wichtigen Grund dient. Bis ins Jahr 2022 werden Masken überall Pflicht sein.

Adoption einer Familie

Im letzten Kapitel habe ich beschrieben, wie ich Eddy kennenlernte und wie unsere Wege sich kurz vor Corona wieder trennten.

Als ich Ende März 2020 sicher aus Argentinien wieder in Deutschland angekommen bin schweifen meine Gedanken zurück an dieses wilde Abenteuer und die nette Familie, die mich so bedingungslos bei sich aufgenommen hat.

Wohlwissend welche Antwort mich erwartet, entschloss ich mich eines Tages die Mutter, Badiezka, zu kontaktieren, deren Nummer ich noch wegen des Anrufs an meinem Geburtstag hatte. Ich ließ von einem Bekannten einen Text auf Spanisch übersetzen, in dem ich die Familie fragte ob es ihr angesichts Corona und der Schließung Kubas gut ging. Sie arbeiteten alle im Tourismussektor, sodass die Frage eigentlich ziemlich überflüssig war.

Binnen Minuten schickte Badiezka mir ein emotionales Video, dass sie von sich in ihrem Garten aufnahm. Da ich kein Wort Spanisch sprach, zeigte ich es Sonja, die es aber wegen des starken Dialekts nicht verstand. So schickte ich ihr das Video dann doch, damit sie es Ihrer Mutter schicken konnte, die ziemlich gut spanisch sprach, aber keine Zeit hatte, sich diese dann aber doch nahm und fleißig einen Text mit der Übersetzung an Sonja schickte. Die es wiederum mir schickte, und ich somit nur etwa 2 Stunden nach Empfang der Nachricht erfuhr was ich von Anfang an erwartete, nämlich, dass es der Familie dort tatsächlich nicht sonderlich gut ging.

Wie gesagt, war ich darauf vorbereitet und da ich auf dickem Weltreise-Budget saß, dass zu der Zeit nicht ausgegeben werden konnte, schickte ich ihr einen Teil dieses Geldes. Nicht zu viel, aber so, dass sie ein paar Wochen damit über die Runden kommen sollten. Eigentlich, so dachte ich, würde es dabei bleiben, schließlich kann das mit diesem Corona ja nicht soooo lange dauern.

Der Zeitunterschied zu Kuba beträgt 6 Stunden. Das Konzept der Zeitzonen ist aber noch nicht so ganz verinnerlicht, weswegen besonders in den ersten Tagen und Wochen Texte mitten in der Nacht kommen. Wir haben den ersten Lockdown und es gab kein Klopapier mehr. Irgendwo hatte ich gehört, dass es morgens bei Rossmann welches gibt. Man müsse aber gleich um 6 da sein. Als in dieser Nach dann ein Text von Badiezka kam, wimmelte ich sie ab und sagt, dass ich früh aufstehen muss um etwas kaufen zu gehen. Ach, sagte sie mitleidend, bei uns sind die Schlangen vor den Läden auch ganz lang geworden und wir müssen stundenlang für Essen anstehen. Ich hoffe, schließt sie ab, Du findest alles was du brauchst und dass es sich lohnt und ihr gut essen könnt. Das es nicht um Essen oder anderes Überlebenswichtiges ging, sondern ich nur deshalb früh aufstehen muss, weil unsere Landsleute ausgerechnet fucking Klopapier zum begehrtesten Gut während einer weltweiten Ausnahmesituation auserkoren hatten, brachte ich nicht übers Herz ihr zu sagen.

Den Spanischkurs, den ich eigentlich in Argentinien vor Ort besuchen wollte, konnte ich leider nicht mehr zurückerstattet bekommen und so gab es schlecht vorbereitete und durchgeführte Online-Klassen in A1 Spanisch. Für Leute, die noch so gar keinen Kontakt mit der Sprache hatten. Oder diejenigen, die drei Jahre im Abi nicht aufgepasst haben. Ich entschied mich den Kurs zu belegen und mit meiner Spanisch-Sprachreise zu beginnen. In der nächsten Woche sollte es losgehen. Am Freitag vor Kursbeginn wache ich morgens zu einer Reihe von Texten einer mir unbekannten kubanischen Nummer auf.

Es ist Eddy, der sich von dem Geld, ein Handy gekauft hat, damit er und seine Oma durch die Ausgangssperre hinweg mit seiner Mutter und seinen Schwestern in Santa Clara kontakt halten kann.

In den kommenden Tagen entwickelt sich zu einem festen Ritual, dass ich immer fest davon ausgehen kann, dass Eddy mir so um 15-16 Uhr schreibt. Da steht er für gewöhnlich auf und fängt dann fleißig an mir von seinem Leben zu erzählen. Was er so tut, oder getan hat. Was er tun will und wie langweilig die Quarantäne im Moment ist. Während ich mit ihm und seiner Mutter immer mehr kontakt habe, kommt mir eine Idee. Ich habe ca. 10 Zigarren aus Kuba mitgebracht und wollte sie eigentlich verschenken. Angesichts der immer schlimmeren Situation der Familie aber frage ich, ob sich auch Leute bereit erklären würden etwas Geld dafür zu zahlen.

Insgesamt kommen bei dieser Aktion knapp 2.000 € zusammen, was bei einem wöchentlichen Einkommen von 10-15 € auf Kuba ein gutes Sümmchen Geld ist. Dem macht allerdings die immer steigende Inflation und stetige Verknappung der Wirtschaftsgüter auf Kuba einen Strich durch die Rechnung. Ein bisschen auch PayPal, ein amerikanisches Unternehmen, und damit dem Embargo unterliegend. Die USA haben dermaßen Angst vor Kuba, dass es illegal ist Zigarren zu verkaufen (Ebay & Ebay Kleinanzeigen) bzw. Geld für Zigarrenverkäufe abzuwickeln (PayPal). Auch in Deutschland, kein Scheiß. Als dann auch noch zwei Menschen Kuba als Überweisungszweck angegeben haben ist Paypal vollkommen durchgedreht und mein Konto wurde direkt gesperrt.

Tatoos, Fische und Krabben

Eddys leben in dieser Zeit ist ein wenig trist, erzählt er mir. Eigentlich geht in den ersten Wochen während Corona nichts, außer zuhause Fernzusehen. An einem dieser ersten Tage zeigte er mir sein neues, aus Langeweile, selbst gestochenes Tattoo. Es sah schon ein bisschen nach Knast und definitiv selbst gestochen aus. Auf die Frage woher er denn die Tattoo-Maschine hatte, lachte er. Sebastiááán pflegte er dann immer mit einem langgezogenen á am Ende zu sagen, gefolgt von einer Erklärung, die anmutete einem etwas zurückgebliebenen Kleinkind etwas total offensichtliches erklären zu wollen, dabei aber stets die abstrusesten und irrwitzigsten Inhalte hatte. „Sebastiááán“, sagte er also. „Keiner hat mir seine Maschine gegeben. Die habe ich mir selbst gebaut.“, sagte er und schickte mir ein paar Bilder.

Als ich mir die Bilder eines mit Kupferdraht an eine Fernbedienung angebrachten Kugelschreibers anschaute, die Eddy mir soeben als seine Tätowiermaschine vorstellte, hielt ich ihn ehrlich gesagt für ein bisschen Plem Plem. Wir redeten ein wenig über Hygiene und warum diese Maschine das nicht ist.

Die Tage verstrichen und es gibt viel zu erzählen. Es stellte sich eine gewisse Routine ein und ich freute mich immer Nachmittags von dem doch sehr anderen Leben auf Kuba zu erfahren. So habe ich dann doch schmerzlich zur Kenntnis genommen, als er sich eines Tages nicht meldete. Und auch den nächsten Tag nicht. Am dritten Tage dann war ich schon besorgt doch just an diesem Abend schrieb er mir dann doch. Er habe doch glatt vergessen mir Bescheid zu geben, die Sache war aber die, sagte er, dass es sich so begab, dass eines Morgens ein paar seiner Freunde auftauchten und ihn fragten ob er Ihnen wohl seine Harpune leihen würde. Sie wollten nämlich auf Krabbenjagd gehen. So entschloss er sich, statt ihnen nur seine Harpune zu geben, einfach direkt mit zu gehen. Gesagt getan brachen sie auf. Nur war es leider so, dass der Strand doch etwas weiter weg war und aus dem Tagesausflug ein Tagesmarsch wurde, sodass sie erst am Morgen des zweiten Tages die Krabben jagen konnten. Nur um dann anschließend den ganzen Weg wieder mit ihrer Beute zurückzumarschieren.

Auf Krabbenjagd

Er selber habe allerdings keine Krabben mitgebracht. Schließlich hatte er ja noch Essen zuhause und hat seinen Fang so stattdessen an seine Freunde verschenkt. Den dritten Tag habe er nur geschlafen, weil alles so anstrengend war. Ich solle mir bitte keine Sorgen machen. In zwei Tagen würde er nochmals aufbrechen.

So war die nächste Zeit von Krabbenjagd und Fischerei geprägt und was als Abenteuer begann wurde bald, als die Lebensmittel immer knapper und immer teurer wurden, auch immer ernster und wichtiger um Abwechslung auf den Tisch zu bekommen. Zu den Texten kamen nun auch Videoanrufe und so durfte ich manchmal dabei sein, wenn gefischt wurde. Wenn es zu doll geregnet hat und sich unter Dächern versteckt werden musste. Ich lernte seine Freunde kennen. Immer nur kurz, da mein Spanisch noch nicht ansatzweise gut genug war um mit ihnen reden zu können. Durfte aber auch sehen, wie unendlich trist es dabei zuging und wie wenig Fang es dann nach einiger Zeit noch gab, als quasi ganz Kuba sich sein Essen aus den Flüssen und Meeren holen musste.

Eddy der Pizzabäcker

So kam Eddy eines Tages auf die Idee sich mit anderen Dingen Geld zu verdienen. Er wollte Pizzabäcker werden. Pizza, so sagte er, ist immer beliebt auf Kuba und in seiner durchaus illustren Vergangenheit, da habe er sich auch mal als Pizzabäcker verdingt. So wollte er sich in den folgenden Tagen darum bemühen alles für das Pizzabacken zu organisieren. Die nächsten Wochen hörte ich allerdings so gar nichts mehr von der Pizzaidee, bis eines Tages:

Montag

Eddy, frage ich ihn. Wie sieht es denn aus mit den Sachen, hast du alles bekommen? Ach die Pizzasache, fragt er zurück, Sebastiááán, neiiiin, es gibt keine Materialien für Pizza auf Kuba. Das solle Ich mal lieber Vergessen.

Dienstag

Du kannst es dir nicht Vorstellen, aber es fehlen nur noch die Pizzateller. Wenn ich die habe, Sebastian, wenn ich die habe, kann es endlich losgehen. So schreibt er mir enthusiastisch.

Mittwoch

Die Pizza-Teller sind da! Er hat jemanden gefunden, bei dem er sich für einen schmalen Taler Pizza-Teller leihen konnte. Diese werden auf Tagesbasis an die verschiedenen Pizzabäcker der Stadt verliehen. Einen Ofen, den hat er auch schon. Eine Dame aus der Nachbarschaft hat einen Pizzaofen, den sie stundenweise an die Pizzabäcker der Stadt vermietet. So stehen an diesem Ofen immer die Bäcker Schlange um backen zu können, während ein Gehilfe die fertige Pizza in der Stadt herumfährt und verkauft.

Der zeitweise zu mietende Ofen, der Dame aus der Nachbarschaft.

Donnerstag

Voller Begeisterung frage ich Eddy wie seine Pizzeria läuft. Ob er wohl schon Millionär wäre und wie das Geschäft läuft. Sebastiááán, die Pizzateller sind alle Mist, erzählt er mir. Damit kann man keine Pizza backen, die bleiben immer kleben. Die sind scheiße und zu billig und das Geschäft ist schon gescheitert, bevor es richtig losging. Ich solle ihn nie wieder nach dieser Idee fragen, sie war dumm und er würde sich nie wieder an Pizzen probieren.

Freitag

Ob er immer noch deprimiert sei, wegen der Pizza-Sache frage ich ihn. Sebastiááááááán kommt es diesmal mit besonders langem á. Das Geschäft boomt. Er und sein Kumpel haben schon mindestens 10 Pizzen verkauft. Wenn das so weitergeht, dann wird er bald der reichste Mann Kubas.

Lecker Pizza

Samstag

Na, wie viele Pizzen habt ihr denn heute schon verkaufen können, frage ich ihn, glücklich, dass er es aus der Fischerei geschafft haben zu scheint. Sebastiááán, nix mit Pizza. Alles scheiße. Sie haben so viel gebacken, bis sie kein Mehl mehr hatten. Mehl kann man zur Zeit nicht mehr auf Kuba kaufen. Die Pizza-Teller hat er weiterverkauft. Die letzten Zutaten wird Oma in verschiedenen Essen zubereiten.

Der Wundersame

So ging es ein ums andere Mal mit verschiedenen Ideen, die mal mehr mal weniger offensichtlich zum Scheitern verurteilt waren. Manchmal verschwand er tagelang nur um dann zu berichten, wie er eigentlich nur Zigaretten holen wollte, dann aber ein super krasser Zufall Event X auslöste, weswegen er über die abstrusesten Umwege und Zufälle Z machte und eigentlich die ganze Aktion aber vollkommen Banane war, denn hätte man einfach nur ein wenig länger gewartet, hätte sich eigentlich alles schon wieder in Wohlgefallen aufgelöst. War er mal Tagelang nicht erreichbar konnte das alles bedeuten: Er war mal wieder Fischen und hat keinen Empfang gehabt oder per Eilflug hat er die Erde umkreist. Mit der Zeit habe ich mich an diese Geschichten gewöhnt und wäre nicht erstaunt gewesen, wenn er eines Tages vor meiner Tür hier in Deutschland gestanden hätte, und mir eine Geschichte erzählt, wie er eigentlich nur auf den Bus warten wollte, aber dann durch ein unglückliches Versehen an einem Flughafen geendet ist, wo zufälligerweise ein Containerschiff stand, welches ihn direkt nach Europa brachte, wo er nach ein zwei Rückfragen, wo es hier denn wohl Zigaretten zu kaufen gibt auf einmal plötzlich vor meiner Tür stand.

Lange Zeit war Eddy meine Referenz für alles Latino, sodass ich seine Aktionen und Erlebnisse häufig mit „die Wege des Latino sind unergründlich“ beschrieb. Es war erst später, als ich meinen Sprachlehrer Leíder von den wilden Abenteuern des Eddy berichtet, dass dieser stutze und sagte, dass es sich dabei wohl eher um ein kubanisches Phänomen handeln muss, da sein Leben keinesfalls so chaotisch abläuft. Als ich dann später noch ein paar Kubaner/innen kennenlernte, stutzen auch die und meinten, dass es wohl vielmehr die unergründlichen Wege des Eddy sind.

Eddy in Trinidad mit seiner Oma

Es geht Bergab

Das Geld verbrennt wegen der Inflation auf Kuba wie nichts und man kann nichts anderes machen als zuzuschauen, wie die Lage sich immer weiter verschlechtert. Die Grundversorgung des sozialistischen Systems verhindert zwar den extremen Hunger, aber dennoch war der Verfall und die Knappheit von wirklich allem immer sichtbarer bzw. in den Geschichten hörbarer. Eddy wurde immer trauriger und seine Perspektive immer nicht vorhandener. Es gab einfach keine Arbeit, kein Geld und kaum Lebensmittel. So gaben er und seine Oma ihre Häuser in Trinidad auf und zogen nach Santa Clara zum Rest der Familie. In Trinidad, so erzählte mir Badiezka, da gab es einfach keine Lebensmittel mehr.

Er ist mir sehr lieb geworden in all der Zeit und auch wenn sich der Kontakt in dieser Intensität ohne Corona sicherlich nicht zustande gekommen wäre, nervte es irgendwann einfach nur noch. Kein Besuch möglich, kein Herholen möglich, kein Paket senden möglich, kein gar nichts möglich. Inmitten der Pandemie stirbt sein Stiefvater an Corona. Auch wenn Kuba über hervorragend ausgebildete Ärzte verfügt, bewirken das Embargo und das System, dass es keine Medizin gibt. So kann gut festgestellt werden was das Problem ist, nur eben nicht danach gehandelt werden.

Eddys Mutter bat mich ihr etwas Geld zu überweisen, damit sie sich auf dem Schwarzmarkt irgendein Mittel kaufen kann, von dem es hier hieß, dass es nicht wirken würde. Sie allerdings wollte es in ihrer Verzweiflung dringend kaufen um ihren Mann zu retten. Am Nachmittag dann, bittet sie mich stattdessen ihr Handy aufzuladen, weil sie einen Krankenwagen rufen muss. Leider schlägt das Aufladen aus der Umkleide des Fitnessstudios heraus immer wieder fehl. Am nächsten Tag ist er Tot. Zwar im Krankenhaus angekommen gab, es leider weder Sauerstoff noch Medikamente.

In der darauf folgenden Woche kommt eine Impfgegnerin bei der Arbeit auf Dienstreise zu Besuch und schwadroniert ihr Anti vor sich hin. Auf Kuba, sagt sie im Gespräch, da hätten die Leute ja eh mit ganz anderen Probleme zu kämpfen. Da fiele es doch gar nicht auf, wenn noch ein paar Tote wegen Corona hinzukämen.

Kurz nachdem sie gefahren ist, am selben Nachmittag, ruft mich Eddy an. Er hat sich angesteckt und liegt mit starken Symptomen in Quarantäne. Ein Todesurteil, so dachte ich.

Nach zwei drei Wochen aber war er wieder ganz bei sich und rauchte fleißig weiter. Als auch diese Episode vorbei ist, wird es merklich schwerer für die Familie sich zu versorgen. Ja, Arbeit ist irgendwie gelegentlich schon da, aber irgendwie mangelt es immer an irgendwas. Und ich, ich bin mal mehr und mal weniger von der Partie.

Vorschau

Im nächsten Kapitel geht es um ein echtes Wiedersehen mit Hindernissen, Visumsangelegenheiten, eine Traumreise nach Argentinien und ein bitteres Erwachen.

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