Aus Medellín geht es weiter in die kühlere Bergregion Kolumbiens. Nicht irgendwohin, es geht ins Kaffeedreieck. Hier ist von der Hitze der Karibik nicht mehr viel über. Es kommt sogar vor, dass man sich gelegentlich lange Hose und eventuell sogar einen Pullover anziehen muss, um nicht zu frieren. Noch immer bleibt das Mitleid aus Europa, ob dieses Kälteschocks, irgendwie aus. Die Reise wird belohnt durch wunderschöne Aussichten und tolle neue Bekanntschaften.

Jardín
Jardín ist ein kleines Dorf, ca. drei Autostunden von Medellín entfernt. Von Amanda, meiner Hängemattenfreundin aus Medellín, habe ich den Tipp bekommen hier her zu fahren. Sie gab mir sogar den Namen eines guten Hostels, das ebenfalls über eine Hängematte mit grandioser Aussicht verfügte. Im Gegensatz zu Salento ist Jardín wesentlich weniger touristisch. Es ist ein sehr angenehmer Mix aus touristischem Angebot und einheimischem Leben, das noch immer hier stattfindet.
Das Valle de Cocora hingegen befindet sich quasi an erster Stelle der Dinge, die man als Urlauber hier in Kolumbien sehen sollte. Das führte dort natülich auch dazu, dass sich am Eingang allerlei Touri-Zubehör finden lässt. Parkplätze, Fast-Food, Getränke, Restaurants, alles kann man dort am Eingang des Tals konzentriert erwerben. In Jardín ist das etwas anders. Die Natur ist hier weder besonders aufbereitet worden, noch gibt es unverhältnismäßig viele Stände, die sich ausschließlich und extrem auf die Touristen konzentrieren. Stattdessen gibt es Aussichtspunkte, an denen auch Ortsansässige anzutreffen sind. Es gibt den großen, typischen, Plaza in der Dorfmitte, an dem man den ganzen Tag über die Einwohner sehen kann, ohne, dass Touristen wie ein Heuschreckenschwarm alles überfallen haben.








Kurz gesagt, Jardín gefällt mir gut und lädt zum Verweilen ein. Ich verbringe meine Tage stets damit mir große Pläne zu machen, wie zum Beispiel zu einem der unzähligen Wasserfällen zu wandern, oder zu diesem oder jenem Aussichtspunkt zu Wandern. Dann aber hängt da diese Hängematte und nach „nur 5 Minuten“ ging stets auch irgendwie die Sonne schon wieder unter. Eine Zauberhängematte.
Nachdem ein paar Tage so vergangen waren, lernte ich Rhyannon kennen. Sie ist Irin, etwas verkatert vom Vortag und weil sie doch Lust hat diesen Nachmittag was zu machen nimmt sie mich einfach an die Hand und wir machen eine Mini-Wanderung zu einem der vielen Aussichtspunkte hier.
Sie erzählt mir, dass sie schon mehrere Monate unterwegs ist, in Costa Rica und Nicaragua unterwegs war, und nun langsam aus Zentralamerika in den Süden wandert, bevor es nach Neuseeland weitergeht. Die nächsten paar Tage kämpfen wir um die Liegerechte in der Hängematte, gehen gemeinsam Essen und gehen Vögel beobachten. Ich finde es gut, dass jemand anderes die Entscheidungen übernimmt wohin es geht und was an dem Tag gemacht wird. Das erlaubt mir mich mit der Frage zu beschäftigen was ich an Weihnachten machen möchte.
Weihnachten
Eigentlich hatte ich Medellín mit der Überzeugung verlassen Weihnachten im tiefen Süden Kolumbiens zu verbringen. Doch irgendwie war da noch ein ganzer Monat vor und so wirklich überzeugt war ich nie von der Idee. Irgendwie wollte ich Meer und Strand. Als es dann Abends so kalt wurde, dass lange Hose und Pullover notwendig wurde, war ich noch viel weniger von der Idee angetan und wollte die glühende Hitze der Karibik zurück. Hauptsache keine Kälte!
In einem Moment der Hängemattenklarheit entschlossen ich mich ein wirklich hervorragend schönes Apartment in Cartagena über Weihnachten zu buchen. Mit eigenem Balkon mit Aussicht über die Bucht von Cartagena und natürlich einer dort angebrachten Hängematte. Nun, da diese mentale Blockade aufgehoben war, mussten die drei Wochen davor noch mit Leben gefüllt werden. Dazu bot sich die geplante Süd-Tour in leicht veränderter Form an. Durch die Kaffeeregion soll es bis nach Cali, und noch südlicher gehen.

Manizales
Da klar war, dass ich meine neue Bekannte aus Santa Marta, Paula, inmitten des Kaffeedreiecks besuchen wollte, blieb als logischer Zwischenstopp Manizales. Die auf 2.200 m gelegene Stadt liegt nur vier kolumbianische Busfahrstunden im Süden Jardíns. Wobei die von der Agentur angegebenen vier Stunden sich in etwa 6,5 europäische Stunden umrechnen lassen.
Das Phänomen der verschiedenen Zeitangaben ist mittlerweile so normal für mich geworden, dass ich es fast gar nicht wahrgenommen hätte, hätte der Fahrer des viel zu kleinen und vollgepackten, sowie schlecht gefederten, Busses es sich nicht zur Aufgabe gemacht jedes einzelne Schlagloch zwischen Jardín und Manizales mitzunehmen. Die üblicherweise vollgepackten Busse haben den Vorteil, dass man aufgrund des begrenzten Platzes nicht sehr weit fliegen kann, wenn ein Schlagloch mal wieder besonders tief ist.
Auf dreiviertel der Strecke aber steigen meine Sitznachbarn mitten im nichts aus, um mit kritischen Blicken auf einen Jeep verfrachtet zu werden, der wie zufällig dort auf diesem Parkplatz herumstand und sie vermutlich, hoffentlich, an ihre Destination brachte. Meine Wirbelsäule ließ sich nun frei mit jedem Schlagloch in alle erdenklichen Richtungen schleudern. Nach zwei Stunden der Freiheitsgraderkundungen sämtlicher Wirbel, stellte sich eine gewisse Erschöpfung ein und als wir die letzten Schlaglöcher, nunmehr schon auf der Stadtautobahn, zielgerichtet aufsuchten, befürchtete ich sie würde mir nun einfach wegen Materialermüdung an mehreren Stellen zeitgleich zerbrechen.
So weit kam es dann aber doch nicht. Zwei Schlaglöcher von der endgültigen Zerstörung bogen wir überraschend in die Busstation ein. Noch einmal über den Geschwindigkeitsbegrenzer geschleudert, unnötig scharf die Bremse gezogen und wir waren angekommen. Das traumhaft schöne Wetter von Jardín wandelte sich in Manizales leider in einen Regen, der mich dort auch die nächsten Tage verfolgen sollte. Allgemein ist das Wetter hier aufgrund der Höhe etwas kühler. Mein Rücken war streng gegen eine weitere Autofahrt und so nahm ich die Seilbahn hoch ins historische Zentrum, wo mein Hostel „nur 5-6 Blocks“ entfernt sein sollte. Die 5-6 Blocks waren eher so 10 und der zunehmende starke Regen drängte schon in die Schuhe, als ich endlich am Hostel angekommen war.
Dort angekommen traf ich auf ein englisches Pärchen, welches mit mir im selben Bus saß. Wir redeten vorher nicht, nun aber begrüßten sich mich enthusiastisch und nachdem sie sich zurecht über meine nasse Kleidung lustig gemacht haben, verbrachten wir die nächsten Tage einige gemeinsame Stunden im Gemeinschaftsraum, während der Regen unaufhörlich aufs Dach prasselte.



Der unglaublich lang dauernde Check-In Prozess hilft beim kennenlernen. Und als die beiden ihr Zimmer bekommen und verschwanden, es bei mir aber immer noch dauerte, lernte ich auch noch den Rezeptionisten kennen. Der erzählte mir von den tollen Weihnachtslichtern und gab mir Tipps, was man alles in und um Manizales machen könnte. Und weil auch wir uns gut verstanden und es immer noch nicht möglich war ins Zimmer zu gehen, vereinbarten wir, uns nach seiner Schicht zu treffen, damit er mir eine private Tour der Stadt gibt.
Weihnachtslichter
Anfang Dezember werden in jeder Stadt mal mehr und mal weniger schicke Weihnachtslichter aufgehängt. Im Gegensatz zur deutschen Adventsbeleuchtung, handelt es sich in Kolumbien um teils sehr komplizierte und stets sehr farbenfrohe Beleuchtungen verschiedener Örtlichkeiten in der jeweiligen Stadt. Das kann ein Fluss sein, oder aber eine Stadtautobahn. Es kann aber auch ein Boulevard oder Einkaufspassage sein. Dabei wird jedes Jahr ein neues Thema bestimmt, das die Lichter darstellen sollen. In Manizales ist das diesjährige Thema: Tiere. Bei meiner privaten Tour, bekomme ich alle großen Lichtinstallationen der Stadt zu sehen. Auch diejenigen, die ich ohne meinen ambitionierten Reiseführer garantiert nicht gesehen hätte.







Allgemein habe ich keine große Lust Manizales zu erkunden. Die Höhe hier setzt mir ganz schön zu und mein, eigens für die Berge angeschafftes Blutdruckmessgerät, zeigt an, dass der Körper bereits hier an seine Grenzen kommt und nicht höher möchte. Begleitet wird das durch permanente leichte Kopfschmerzen und das Unvermögen auch geringste Steigungen ohne Atemnot zu erklimmen. Auch nach 3 Tagen Aufenthalt gewöhnt sich der Körper nicht an die Höhe. Es ist Zeit wieder abzusteigen.
Montenegro

Von Manizales aus geht es dann, abermals mit dem Bus, nach Armenia. Hier war ich bereits im April, als ich Leíder in Salento besucht habe. Weil die Erfahrung, wie er mir die Region rund um Salento auf seinem Motorrad gezeigt hat, einfach nicht zu übertreffen ist, wollte ich mir die Erinnerung nicht durch einen erneuten Besuch kaputt machen. Daher traf es sich ganz gut, dass Paula mich nach Montenegro einlud, was von Armenia aus gesehen, genau in der entgegengesetzten Richtung von Salento liegt.
In Armenia angekommen, wurde ich freudig von Paula empfangen. Gemeinsam mit ihrem Uber Chauffeur Jorge fuhren wir die etwa 20 Minuten bis zu dem Hotel, in das sie mich eingeladen hatte. Dort lerne ich einen weiteren Jorge kennen, der das Hotel leitet, sowie seinen 98 Jahre alten Onkel, und seine Tante, die die gute Seele des Ladens war. Sie spricht deutlich zu schnell für mich und so wirklich bis ins letzte Detail verstehe ich schon meistens nicht, was sie mir erzählt. Aber sie ist stets gut gelaunt und ich nehme an, dass sie mir gute Dinge berichtet hat. Da auch mehrere Versuche sie zum langsameren Sprechen zu bitten nur kurzzeitig zum Erfolg führen, nicke ich meistens einfach und gebe mich damit zufrieden meistens wahrscheinlich in etwa verstanden zu haben, was sie mir erzählen wollte.
Worin wir uns in unserer Kommunikation aber durchaus im Klaren waren, war, dass es Abends Trucha geben soll. Trucha ist ein Süßwasserfisch, der in den hiesigen Bergseen gezüchtet wird und eine lokale Delikatesse ist. Und weil man in Salento zu Trucha traditionell einen riesigen Platacon gereicht bekommt, versuchen wir uns daran ihn nachzuahmen. Platacon ist Kochbanane, die nach einem initialen anfritieren, ähnlich einem Schnitzel platt geklopft wird. Natürlich nicht mit einem extra dafür hergestellten Werkzeug, sondern mit einem in der Küche liegenden Stein und einem nassen Geschirrtuch. Weil ich fleißig lernen wollte, war das meine Aufgabe. Danach wird die platte Scheibe noch einmal gut durchfritiert und fertig ist der Platacon. Ursprünglich dachte ich, dass es sich um ein einigermaßen gesundes Essen handelt, musste nun aber lernen, dass es, wie anderes kolumbianisches Essen, durchaus stark auf das Fett und die Friteuse setzt. Die Trucha war lecker, der Platacon nicht ganz so fein gearbeitet, wie aus Salento bekannt, aber es war ja schließlich auch mein erster Versuch.



Montenegro ist kein touristischer Ort. Es ist ein kleines Dorf, mit einem kleinen Dorfkern, der ähnlich aufgebaut ist wie Jardín oder Salento, und dennoch ganz anders ist. Viel moderner, etwas weniger schick, dafür aber nun definitiv ausschließlich kolumbianisch. Ich denke, ich würde mich nicht weit aus dem Fenster lehnen, würde ich behaupten, der einzige Ausländer an diesen Tagen dort gewesen zu sein. Daher fiel ich sofort auch den Nachbarn auf, als ich am Abend ihre Kerzen betrachtete, die sie zur Ehre von Marias irgendwas auf die Straße stellten. Maria, die Mutter von Jesus hat irgendeinen besonderen Tag und daher werden hier Kerzen aufgestellt. Die Tante hat mir all das ziemlich genau erklärt, aber wie gesagt, mit den Details, war das alles etwas schwer. Und so katholisches Religionsgedöns ist ja auch immer nicht so meins.

Daher schaute ich mir einfach die netten Lichter an, als der Nachbar des Hotels auf mich zukam und mich mit starkem amerikanischen Akzent fragte „Spräcken Sie Doitsch?“. Ich war überrascht und fragte ihn, woher er denn nun deutsch sprechen würde. Tut er gar nicht, sagte er, er hat nur den US-Amis zugehört, wie die das immer gesagt haben. Das war bei einer ihrer vielen Urlaube in Europa. In Deutschland waren sie auch berichtete seine Frau mir, die nun ebenfalls neben mir stand. Ehe ich mich versah hatte ich ein warmes Bier in der Hand und die beiden erzählten mir von ihren Reiseerfahrungen und fragten mich aus, was ich denn wohl hier machen würde. Sie freuten sich über meine Begeisterung für Kolumbien und weil es nicht alle Tage vorkommt einen so netten Ausländer vor der Tür zu haben, luden sie mich ein in Ihre Wohnung. Dort gaben sie mir eine große Tour durch alle Zimmer. In Schlafzimmer und Kleiderzimmer entschuldigte sie sich mehrfach für die vermeintliche Unordnung und als wir im Gästezimmer für Familie ankamen, boten sie mir an, dass ich bei meinem nächsten Besuch in Montenegro gerne dort schlafen könne. Das sei kein Problem, ich solle einfach klopfen und dann geht das klar. Tatsächlich ist die Wohnung eine der schönsten, die ich bisher hier in Kolumbien gesehen habe, was ich ihnen auch mehrfach aufrecht versichere. Wir unterhalten uns noch ein wenig und etwas verwirrt von dieser extremen Offenheit und Freundlichkeit gehe ich zurück ins Hotel. Noch immer unter dem Einfluss, gerade durch eine fremde Wohnung geführt worden zu sein, schrieb ich Valentina, meiner in Bremen ortsansässigen Latina und Ansprechpartnerin für alles Latino, was soeben geschehen war.
Sie schickt mir eine Audionachricht in der sie lacht und sarkastisch fragt: „Das einzige was mir dazu einfällt: Genau wie in Deutschland, oder?“.
Ich kann mir zwei weiter entfernte Kulturen auch nicht vorstellen.
Leider gibt es außer dem Dorfkern nicht viel zu entdecken. Der im Tal vor dem Hotel gelegene Fluss ist fest in der Hand von lokalen Drogenbanden. Sie verdienen ihr Geld mit dem Verkauf an die Endkunden, was man hier Micro-Trafico nennt, um diese Art der Geschäfte von dem ganz großen Geschäft, dem Narco-Trafico zu unterscheiden. Auch wenn es sich also nicht um die großen der Branche handelt, ist es zu gefährlich dort hinabzusteigen.


Weil also Montenegro nun wirklich nicht mal im Ansatz was für Touristen bietet, überlegten wir am nächsten Tag zum Swimming Pool zu fahren. Schließlich hatten wir uns ja in Santa Marta auch in einem kennengelernt, also passte das ja irgendwie auch wieder. Und weil es nicht einfach irgendein Pool sein konnte, holte uns Uber-Jorge am nächsten Tag ab und gemeinsam fuhren wir zum nahegelegenen Batallón, so heißen hier die Kasernen. Die, in denen das Militär wohnt. Paula, so sagte sie mir, war 20 Jahre beim Militär. In bestimmten Kasernen gibt es so etwas wie Naherholungszentren, die nur Militärangehörigen zur Verfügung stehen, und wie sie mir versicherte, war der Pool dort garantiert leerer war als überall sonst.
Das alles erzählte sie auf der Hinfahrt auch Uber-Jorge, der von all dem noch nie etwas gehört hatte. Und so saßen Jorge und ich in angespannter Stille in seinem Wagen am Eingang einer Kaserne und beobachteten wie Paula irgendwas mit den wachhabenden Soldaten klärte.

Ein weiterer Soldat kam auf uns zu und bat Jorge den Kofferraum zu öffnen. Als dort nach oberflächlicher Betrachtung nichts zu sehen war, durfte er ihn wieder schließen und die Sicherheitskontrolle war abgeschlossen. Paula kam wieder, und ohne jegliche weitere Prüfung fuhren wir in die Kaserne rein. Jorge und ich schauten uns ungläubig an und mussten zeitgleich vor Aufregung lachen. Der Pool war angenehm kühl und tatsächlich waren neben Paula und mir keine weiteren Gäste dort.



Am Abend setzen Hotel-Jorge, Paula und ich uns zum Abschied vor die Feuerstelle und trinken ein wenig. Die Feuerstelle funktioniert nicht. Irgendwo tritt Gas aus und so wirklich am Leben bleibt das Feuer daher nicht. So sitzen wir dort im letzten Vollmond des Jahres, erzählen Anekdoten, tauschen Philosophien aus und erzählen Unsinn. Schon ein bisschen betrunken, schlägt Jorge vor ein Foto von uns und dem Vollmond zu machen. Es wird das Abschiedsfoto. Am nächsten Tag setze ich mich in den Bus nach Cali.
