Auf meiner Reise nach Cali, muss ich an die Worte des deutschen Rentners in Santa Marta denken, der die Stadt als „Shit hole“ bezeichnete und mir empfahl sie unter allen Umständen zu vermeiden. Auch wenn sich deutsche Rentner ja häufig dadurch auszeichnen alles eben doch noch etwas besser zu wissen, als wir das hierzulande ja sowieso schon immer tun, darf doch in Frage gestellt werden, wie seriös die Meinung eines Mannes ist, der für einen 3 stündigen Spaziergang bei 35 Grad Außentemperatur eine lange Jeans mit Hemd und Veste trägt.
Nach meiner Ankunft verdichten sich die Hinweise, dass es eventuell sein könnte, dass es einen alten deutschen Herren gibt, der einmal nicht recht hatte. Ein Skandal.

Cali präsentiert sich mir als farbenfrohe, wunderschöne Stadt mit den schönsten Weihnachtslichtern, die ich bisher in Kolumbien gesehen habe. Und obwohl auch hier unzählige Händler versuchen einem irgendeinen Tand auf der Straße anzudrehen, sind die Leute allgemein etwas ruhiger. Es reicht einmal eine angebotene Ware abzulehnen und man wird in Ruhe gelassen. Anders als in der Karibik, in der ein Nein eher als eine Aufforderung angesehen wird, so lange auf den potentiellen Kunden einzureden, bis er verzweifelt einfach irgendwas kauft, nur um den Verkäufer loszuwerden.
Noch am selben Abend gehe ich auf den vom Taxifahrer empfohlenen Boulevard, auf dem einige der Weihnachtslichter aufgebaut sind und genieße es in der Menschenmasse unterzugehen.








Cali ist bei weitem nicht so touristisch wie Medellín. Man hört nahezu kein Englisch auf den Straßen und die allermeisten Touristen, die es dorthin verschlägt sind scheinbar Kolumbianer. Dementsprechend kann man hier eine Großstadt entdecken, die viel zu bieten hat, ohne sich aber für die ausländischen Touristen auf den Kopf gestellt zu haben. Das mag man als Shit hole bezeichnen und bemängeln. Ich finde es sehr spannend zu sehen wie sich die Stadt für die eigenen Leute aufbereitet hat.
Für den nächsten Tag habe ich eine Free Walking Tour gebucht, deren Reviews andeuten, dass der Guide definitiv kein Englisch spricht, auch wenn die Tour wohl mal auf Englisch angeboten wurde. Man hat sich aber wohl die schlechten Bewertungen zu Herzen genommen und Hans, den Tourguide, überredet die Tour einfach nur noch auf Spanisch anzubieten. Wie aber auch aus den Kommentaren zu lesen war, war die Tour auf Spanisch hingegen ganz hervorragend und allumfassend.





Medellín und Cali teilen sich das Schicksal Hochburgen der Kartelle und der damit einhergehenden Gewalt gewesen zu sein. Spannend ist, dass man in Cali aber so ganz anders damit umgeht. Es findet eher so am Rande Erwähnung. Während in Medellín keine Tour darum herum kommt irgendwann mal diese Epoche anzusprechen, findet dieser Teil der Geschichte nur relativ wenig Erwähnung in der Walking Tour in Cali.
Einmal als wir am Museum des Konflikts vorbeikommen, dass es so auch in Medellín gibt. Und einmal als wir vor einem Bankgebäude stehen. Dort explodierte eine der vielen Autobomben, denn der Chef der Bank war zeitgleich auch einer der Anführer des Cali Kartells.
Hans erklärt uns, dass der Unterschied der beiden Kartelle der sei, dass in Medellín Kriminelle aus der Mittel- und Unterschicht an der Macht gewesen seien. Als sie sich bedroht fühlten reagierten sie mit Gewalt, weil alle Angst vor ihnen haben sollten.
In Cali hingegen setzte sich das Kartelle aus Reichen aus der Oberschicht zusammen. Ihnen war daran gelegen, dass die Gewalt nicht auf sie Zurückzuführen war und versuchten im Hintergrund zu bleiben und dem ganzen Geschäft eine weiße Veste zu verpassen. Die Gewaltexzesse, wie sie aus Medellín bekannt sind, hätten in der Form deshalb in Cali nicht stattgefunden. Das macht es manchmal in der Aufarbeitung etwas schwieriger, berichtet er. Viele wollen bis heute nicht sehen, dass diese Gewalt natürlich trotzdem existiert. Nur eben nicht vor ihrer Haustür. Das macht es schwerer zu vermitteln, dass es eben nicht die goldene Zeit Kolumbiens war in dem es aus heiterem Himmel Geld regnete.
Zu meinem Ungemach umfasste die Tour dann sogar einen Anfängerkurs in Salsa, der unangekündigt, ausgerechnet in einer riesigen, von der Sonne aufgeheizten, Trompete auf einem öffentlichen Platz der Innenstadt stattfinden musste. Abgesehen von dieser etwas unangenehmen Einlage aber war Hans ein guter Führer, der zumindest auf Spanisch seine guten Bewertungen verdient hat.


Mir wird aber auch etwas anderes auf dieser Tour klar. Nämlich, dass meine Sozial- und Reisebatterien erschöpft waren.
Das lag nicht an dem wirklich unglaublich aufdringlichen Spanier, der konstant dafür Sorge trug, das er stets an der Seite einer Kolumbianerin aus den Llanos stand, ob die dies wollte oder nicht. Es lag auch nicht an dem One Night Stand Pärchen, die sich rein zufällig am nächsten Tag bei der selben Tour wiedergetroffen haben, und etwas unwohl weder zusammen noch getrennt voneinander gehen wollten, und ein ums andere Mal beschämt erzählen mussten, woher genau sie sich kannten, und dass sie definitiv kein Pärchen waren. Und definitiv lag es nicht an der netten Ärztin, die sich gelegentlich vorm Spanier flüchtend zum Nicht-Pärchen oder zu mir gesellte und um Konversation bemüht war.
Ich konnte einfach nicht mehr. Ich hatte keine Lust diese Menschen kennenzulernen und auch nicht mir ihre Geschichten anzuhören. Es war mir egal was sie am Abend taten und wie lange sie noch in Cali blieben und ob sie wohl offen waren noch gemeinsam was zu machen. Normalerweise dienen die Touren natürlich einerseits zum schnellen Überblick über eine Stadt, aber andererseits eben um andere Touristen kennenzulernen, mit denen man im Anschluss ein paar nette Stunden oder Tage verbringen kann.
Doch meine Kapazität dafür war aufgebraucht und so konnte ich diese Leute einfach nicht kennenlernen. Die anderen kamen dann irgendwie doch miteinander aus und gründeten eine WhatsApp Gruppe. Wohl weil wir beide keine Lust hatten in dieser Gruppe zu sein, schauten der Nicht-Freund des Nicht-Pärchens und ich uns unabhängig voneinander, aber beide sehr intensiv und so angestrengt, wie wohl sonst niemand, im anderen Ende des Parkes um als dies geschah.
Seine Nicht-Freundin hat ihn dann aber doch gezwungen mitzumachen und ich, ich habe mich schnell nach Ende der Tour verabschiedet und habe mich außer Sichtweite alleine auf eine Bank gesetzt.





Dieser Punkt ist mir nicht unbekannt, auf der letzten Reise 2020 ging es mir nach gut 8 Wochen ganz ähnlich. Dieses Mal habe ich mich abet besser auf dieses Loch vorbereitet und wusste, dass es keinen Sinn macht sich neues anzuschauen. Stattdessen habe ich mich bei anderen Langzeitreisenden erkundigt, wie sie damit umgehen. Die Antwort war im Prinzip immer die gleiche. Sich eine Auszeit vom Reisen nehmen, und sich einen strukturierten Alltag schaffen, aus dem man dann nach 2-8 Wochen wieder ausbrechen kann. Die meisten machen dabei irgendwas, im Hostal aushelfen für einen günstigen Schlafplatz, irgendwelche Aussteiger dabei unterstützen eine Farm zu bauen oder, oder, oder.
Es gibt sogar eigene Webseiten dafür. Da man das alles aber etwas planen muss, kommt die Webseite etwas zu spät für mich und meine Reisemüdigkeit. Ich entscheide mich stattdessen mir San Agustín und Popayán egal sein zu lassen und nach Jardín zurückzukehren. Dort gab es eine gute Hängematte mit guter Aussicht, dort habe ich beim letzten Mal Consuelo, eine nette Spanierin, kennengelernt und allgemein wirkt dort alles sehr beruhigend.
Christmas
Zwei Tage später geht es mit dem Flieger nach Medellín und von dort mit dem Bus nach Jardín. Anderthalb Wochen schlender ich von Café zu Café, von Restaurant zu Restaurant und bleibe sonst in der Hängematte liegen.


Cartagena – Mal wieder
Dann geht es mit dem Bus zurück nach Medellín und von dort mit dem Flieger nach Cartagena. Die zweite Auszeit quasi, denn ich habe mir ein super hübsches Apartment mit Meerblick, Balkon, und natürlich Hängematte, zu Weihnachten geschenkt.
Meine ursprüngliche Verabredung hat dann irgendwie spontan abgesagt. So machte ich mir kurz Sorgen Weihnachten nun doch ungewollt alleine zu verbringen. Wobei ich das „ungewollt“ allerdings immer mehr in Frage stellte, denn eigentlich erinnerte nichts außer der Weihnachtslichter daran, das überhaupt Weihnachten war. Bei der ständigen Hitze in der Karibik sah die Alternative Hängematte eigentlich auch ganz gut aus.
Es ergab sich allerdings dann am Vorweihnachtstag ein Date, dass spontan in eine längere Feierei im angesagten Alquímico mit viel Alkohol überging. Als sich dann noch zwei Bekannte von Junior (jap, das ist wirklich sein Name) dazugesellten, fing mein Weihnachten zu den immergleichen Takten variierender Reggaeton-Lieder, viel Alkohol im Blut, einem netten Date, und einer Chica-Trans an.
Betrunken taumelten wir dann Nachts um 2 Uhr zu zweit durch die durchaus unsicheren Straßen des Centro Histórico und versuchten Juniors Hostel ausfindig zu machen. Er war vollkommen fertig mit der Welt und so irrten wir durch viele Straßen in der sich vermeintlich das Hostel befand. Das war äußerst erfolglos und als ich durch das viele Laufen wieder etwas ausgenüchtert, wurde mir langsam bewusst wie gefährlich das hier eigentlich war. Also überredete ich ihn ein Taxi zu nehmen.
Nach einer unendlichen Odyssee, die uns erst an einen Ort ohne Hostel führte und dann durch die halbe Stadt zu meinem Apartment, wünschte sich Junior nun doch zu seinem Hostel gebracht zu werden. Der entnervte Taxifahrer fuhr also den ganzen Weg wieder zurück und scheint diesmal auch mehr Glück gehabt zu haben das Hostal zu finden. Zumindest suggerierte mir das der letzte Text des Abends.
Bist du sicher im Hostal angekommen?
Ja.
Am nächsten Morgen bescherte das Christkind mir einen mittelschweren Kater und als ich mich bei Junior erkundigte, wie es ihm wohl erging, rief er mich umgehend an und erzählte mir, dass es ihm sehr schlecht ginge.
Ich lachte und fragte, ob er wohl einen Kater habe. Das nicht, sagte er, aber als das Taxi ihn vor dem Hostel abgesetzt hat, haben sie ihn noch auf der Eingangstreppe mit gezogener Waffe ausgeraubt. Portemonnaie, Geld, Handy, alles weg. Den Morgen hat er nun damit verbracht sich ein neues Handy zu organisieren. Ob er wohl vorbeikommen könne.
Nachdem der anfängliche Schreck verdaut war, stellte sich raus, dass auch wenn er es nicht zugeben wollte, auch er reichlich mit einem Kater beglückt wurde. So gammeln wir den ganzen Tag zwischen Handy einrichten, Harry Potter Marathon im Fernsehen, und einem Mega fancy Sushi-Restaurant hin und her.
Tatsächlich mal wieder ein ganz anderes Weihnachten. So wie ich es mir gewünscht habe.


Chile
Nachdem auch der Harry Potter Marathon am zweiten Weihnachtsfeiertag durchgeschaut war – diesmal gab es die Filme zu anderen Zeiten, damit man alle sehen konnte ohne die Nacht durchzumachen – und auch Fantastic Beasts 1-3 durchgedudelt sind, war es langsam an der Zeit sich von Cartagena zu verabschieden.
Es geht nach Chile, Valentina über Neujahr besuchen.
Auf dem Flug vom Cartagena nach Bogotá hat sich der Kapitän es sich nicht nehmen lassen mehrfach, wirklich mehrfach, darauf hinzuweisen, wie kalt es dort sei, und dass es wirklich besser sei, einen Pullover griffbereit zu haben. Sicherheitshalber hat er sich auch kurz vor der Landung, sowie vor dem Öffnen der Türen abermals bemüht uns diesen dringenden Warnhinweis mit auf den Weg zu geben. 11 Grad und Regen. Bah. Kein Wunder dass er so besorgt war.
Nach einem (wegen der Höhe) atemlosen Tag am Flughafen von Bogotá, ging es dann aber wirklich los. Sechs Stunden bis nach Santiago de Chile.