In Kolumbien sind die allermeisten Regeln eher flexible Vorschläge als wirkliche Dinge an die man sich halten muss. In einem Punkt jedoch kennen Sie kein Erbarmen: Das Tragen der Maske in Flugzeugen ist immer noch obligatorisch. Ausnahmen gibt es nicht auch wenn man sie erst direkt vor dem Check In aufsetzen muss und direkt nach dem Aussteigen abnehmen kann. Also fleißig die Maske, die sonst nirgendwo genutzt wird, hervorgekramt und los geht’s.
Chileno
Sechs verpflegungslose Stunden dauert der Flug nach Santiago de Chile. Das Bayern Südamerikas. Nicht etwa wegen der Lage oder weil sie Abspaltungswünschen oder Monarchiefantasien frönen würden – Nein, sie haben ihren ganz eigenen, vollkommen unverständlichen, Dialekt,

Das Kauderwelsch, dem man nicht mit Spanisch beikommen kann, nennt sich Chileno und wird gleich am Flughafen nach dem Aussteigen zum Problem.
„Vinte e dois“ Pesos Chilenos soll das Taxi kosten wiederholte der Mann am Ausgang des INTERNATIONALEN Flughafens unermüdlich auf jedes „¿Que?“ das ich ihm, zunehmend genervt, entgegenwerfe. Es fängt gut an hier.
Später wird sich noch klären, dass es sich bei dem vermeintlichen Chileno, eigentlich um Portugiesisch handelt. Hier in Chile halten mich wirklich viele für einen Brasilianer und probieren, wenn es mit Chileno nicht weitergeht, gelegentlich ihr Portugiesisch an mir aus. Genauso wenig erfolgreich, da ich das ebensowenig spreche. Jedenfalls noch nicht. Keine zwei Wochen später, werde ich von einem echten Brasilianer mit echten Portugisischkenntnissen zum Karneval zu ihm nach Rio eingeladen. Also wer weiß…
Die Frau, die mir dann erklären möchte, wo genau ich das Taxi finden soll, ist dann aber wirklich die erste, die unerbittlich den selben Satz in der gleichen Intonation und den selben, für mich unverständlichen, Worten wiederholt. Nach der vierten Wiederholung zeigt sie einfach auf das Poster hinter ihr, welches ein Taxi zeigt und zeigt auf den Ausgang. War ja auch schon fast Mitternacht. Da kann man ja jetzt am INTERNATIONALEN Flughafen eines offiziell spanischsprachigen Landes auch nicht erwarten, dass sich da jemand auf das Level eines doofen Ausländers herab begibt und mal zwei Sätze Spanisch oder Englisch von sich gibt. 15 Minuten im Land und schon unendlich genervt mache ich mich auf die Suche nach besagtem Taxi und verlaufe mich prompt.
Es gibt dann aber doch jemanden, der mich einfängt und mir zeigt wo die Taxen fahren. Ich solle halt langsamer sprechen, dann würden die Chilenen mich auch verstehen, riet er mir und ließ mich damit etwas verwirrt im Taxi zurück.
Als ich damals ein halbes Jahr im Allgäu verbracht habe, gab es auch immer wieder so lustige Leute, die einfach keine Lust hatten ihren Dialekt wenigstens etwas zu zügeln und sich dabei dann ganz dolle lustig vorkamen, weil ich nichts verstanden habe. Ich fand das schon immer etwas beschränkt und einfältig.
So erinnere mich an einen ziemlich betrunkenen Herren, der sich so in der einzigen Kneipe Scheideggs im tiefsten Dialekt über mich lustig zu machen schien, jedenfalls vermutete ich das aufgrund des Gelächters der Umstehenden. Unterbrochen wurde er dann, als sein Kopf ungebremst auf die Theke knallte, er von seinem Stuhl fiel und sich ein großer Urinfleck in seiner Hose bildete. Als er wieder zu sich kam, wurde er gebeten zu gehen. Er sei mal wieder besoffen in Ohnmacht gefallen.
Was mich in Bayern schon genervt hat, wird sich gute 10 Jahre später hier in Chile auch immer noch als nervig erweisen. Auch, und das ist wichtig zu erwähnen, wenn es sich in Chile, wie auch in Bayern um die wenigsten Leute handelt, die komplett ignorant sind. Die Mehrheit ist wirklich um gute Kommunikation bemüht und lässt den Dialekt sofort fallen, sobald sie merken, dass ich es nicht verstehe.
Santiago de Chile
Der eher negative Eindruck wird in Santiago dann aber auch gleich verfestigt in einem der gruseligsten und abgeranzteten Hostels in denen ich je war – und da waren durchaus auch schon Mal Zimmer mit aufgestellten Mäusefallen dabei.
In einem abgerockten Gebäude ohne funktionierenden Lift ging es zu Fuß in den sechsten Stock. Das die fünf darunterliegenden Stockwerke teilweise als Bordell genutzt werden, ist weder ein Geheimnis, noch besonders vertrauenserweckend.

Ein wirklich merkwürdiger Vibe geht durch das Hostel und die Charaktere sehen zumeist eher zweifelhaft als nach interessanten Reisenden aus. Ich mache es meiner Zimmergenossin gleich, schlafe die eine Nacht mit dem Rucksack unterm Arm, fasse keine Lebensmittel an, die irgendwie dort zubereitet wurden und rede auch mit niemandem. Mit den ersten Sonnenstrahlen geht’s ungeduscht so schnell wie möglich raus in die Stadt, die gerade zum Leben erwacht. Das sie ganz vergessen haben mich für das Bett zahlen zu lassen, habe ich dann bei meinem fluchtartigen Verlassen auch geflissentlich unter den Tisch fallen lassen.

Den Tag vertreibe ich mir einem schönen Kaffee mit wirklich tollem Personal, die mir all die Dinge erklären, die eigentlich im Hostal erfragt werden. Wie sicher ist es hier, wo bekomme ich ne SIM Karte, usw.
Nachdem dann auch chilenisches mobiles Internet, sogar mit 5G, besorgt ist, geht es mit dem Bus nach Viña del Mar zu Valentina und ihrer Familie.
Valentina
Ursprünglich hatten wir uns während der Pandemie in Bremen kennengelernt, schnell festgestellt, dass wir eine Leidenschaft für Wein teilen und haben den Pretext Tandem dann nach dem zweiten Treffen auch wieder fallen gelassen.
Aus der Pandemiegemeinschaft entwickelte sich schnell eine Freundschaft die auch meinen Umzug nach Hannover überlebte. Auch wenn das mit dem gegenseitigen besuchen auch bei der kleinen Strecke Hannover Bremen manchmal gar nicht so einfach war. Und als ich es dann endlich schaffte sie an ihrem Geburtstag zu besuchen, hatte ich wohl zuvor was schlechtes gegessen und ich freundete mich präventiv sehr eng mit der Toilette des Restaurants an. Als sie mich netterweise mit dem Auto nach Hause fuhr, durfte die neue Erfahrung sammeln mich auf der Autobahn zu Erbrechen. Wegen des verdorbenen Magens freilich, nicht wegen des Fahrstils.
Als es sich dann ergab, dass sie über Weihnachten und Silvester in Chile sein wird, fragt sich mich, ob ich nicht auch Lust hätte vorbeizukommen. Nach etwas anfänglichen Zögern, wegen der Entfernung und selbstgemachten Blockaden bei der Reiseplanung, habe ich dann aber doch zugesagt für Silvester vorbeizukommen. Dabei wollte ich auch den chilenischen Sommer nutzen, um anschließend das Land zu erkunden. Natürlich ohne mich vorher zu erkunden, was genau es eigentlich in Chile zu entdecken gibt.
Diese Reiseplanung wollen wir nun in Viña del Mar, gemeinsam mit ihrer viel gereisten Mutter, nachholen. Wir verstehen uns auf Anhieb gut und nach zwei Monaten Spanisch wieder primär auf deutsch zu reden ist auch gar nicht so komisch wie ich erst dachte.

Die nächsten Tage lerne ich beim Grillen und feiern andere Mitglieder der Familie kennen. Es sind ein paar Tage des quasi Alltags, die nach so langer Selbstbestimmung irgendwie auch ganz nett sind. Die Menschen, die ich kennenlerne sind auf jeden Fall super nett und auch wenn wir uns aufgrund des Chileno manchmal nicht ganz so gut kommunizieren können, ist die Sympathie auf beiden Seiten doch auch ohne Worte spürbar.

Silvester verbringen wir in einer Wohnung mit Balkon zum Meer.

Pauli und die ersten Male
Es ist mein erstes Mal am Pazifik und ich muss schon sagen, dass ich mich darauf ganz besonders gefreut habe. Zum Baden ist es leider zu kalt, aber beide Hände habe ich zumindest mal reingehalten, mit dem leisen Versprechen auch in Kolumbien mal zum Parte Pacifico zu reisen.

Dieses erste Mal teile ich ganz aufgeregt mit Valentina und Pauli, einer Freundin von ihr, die sich wirklich allergrößte Mühe gibt ohne Chileno auszukommen. Auch wir verstehen uns sofort sehr gut und haben in den nächsten Tagen viel Spaß zusammen. So ist sie auch dabei als ich meinen ersten Pisco Sour in Chile trinke und als wir eine exklusive Tour durch die Nachbarstadt Valparaíso bekommen, ist es unser gemeinsames erstes Mal im deutschen Viertel zu sein.
Bei unserem Abschiedsessen in Valparaíso wird auch sie für eine Brasilianerin gehalten. So macht es dann auch nur Sinn, nach all den gemeinsamen ersten Malen, dass sich die beiden vermeintlichen Brasilianer in ein brasilianisches Pärchen verwandelten.


Chile
Schon in Santiago, noch mehr aber in Viña del Mar fällt mir auf, wie viel geordneter das Leben hier ist, als ich es in den letzten zwei Monaten in Kolumbien erlebt habe. Zum einen fahren Busse hier Pünktlich ab und kommen sogar auch pünktlich an. Kein Vergleich zu kolumbianischen 4 Stunden, die dann gerne auch mal 6 oder mehr werden. Oder der stets variablen Abfahrtszeit, die sich primär danach zu richten scheint, ob sich auch wirklich alle schon zum Bus bequemt haben.

Man kann sich hier auch sorgenlos frei bewegen. Es ist auch kein Problem nachts durch leere Straßen zu laufen. Alles macht einen super sicheren Eindruck. Natürlich gibt es überall Viertel, die man meiden sollte. Im Allgemeinen habe ich mir aber nie groß Sorgen gemacht durch die Straßen zu ziehen. Es war erstaunlich zu spüren wie anders sich das nach doch nur zwei Monaten Kolumbien anfühlte. Und das obwohl ich mich in dort auch meist nicht unsicher gefühlt habe. Man passt halt mehr auf…
Das Verrückteste aber ist, dass so infrastrukturelle Regeln wie Ampeln beachtet werden. Man muss gar nicht mehr befürchten bei jedem Kontakt mit der Straße von einem Auto- oder Motorradfahrer überfahren zu werden. Die Autos halten hier nämlich bei Rot. Total verrückt. In Kolumbien ist rot, je nach Region, eher so ein Vorschlag, der eingehalten werden kann, aber definitiv nicht eingehalten werden muss. Sodass einem beim Kreuzen der Straße die Motorräder manchmal vorne und hinten in enormer Geschwindigkeit das ein oder andere Bein fast mitnehmen. Auch daran gewöhnt man sich schnell und die Autofahrer in Chile müssen mich für etwas bekloppt gehalten haben, als ich immer brav abwartete, ob sie bei der roten Ampel auch wirklich anhalten, um mich die Straße überqueren zu lassen.
Diese Ordnung ist natürlich ganz hervorragend für die Einwohner, lässt das Leben aber auch wieder ein bisschen vorhersehbarer werden. Keine zu kleinen Bürgersteige, wild aufgestellten Streetfoodkarren, keine merkwürdig anmutenden, definitiv nicht genehmigten, bauten am Straßenrand. Man sieht auch keine Motorradfahrer mit Waschmaschine unterm Arm, die sie tageweise in der Nachbarschaft verleihen. Und die Straßenverkäufer, die einem allen möglichen Scheiß andrehen wollen, haben dann häufig doch wieder einen kolumbianischen oder venezolanischen Akzent.

Das Leben hier ist wesentlich ähnlicher zu Europa. Sicherer, ruhiger und wohlständiger, geordneter … und … ja … etwas langweiliger. Zumindest wenn man das verrückte Leben in Kolumbien ganz interessant findet. Wesentlich teurer ist es auch. Auf nahezu europäischem Niveau müssen hier Unterkunft und Verpflegung gezahlt werden.
Und weil ich trotz einer sehr schönen Woche bei Valentinas Familie schon ein bisschen die Schnauze vom Chileno und den hohen Preisen hier voll habe, entscheide ich mich die verbleibenden Wochen bis zu meinem Rückflug nach Kolumbien nicht in Chile zu verbringen. Es gibt da ja noch dieses Nachbarland mit dem ich eine Rechnung offen habe…
Argentinien
Es juckt schon sehr in den Fingern nahezu 3 Jahre nach dem Disaster meines letzten Aufenthalts noch einmal zurückzukehren und es noch einmal zu probieren. Meinen Nemesis in Reiseangelegenheiten zu bezwingen quasi. Aus einer fixen Idee wird schnell ein Plan.
Immerhin wohnt meine Spanischlehrerin Marìa in Buenos Aires und hat schon vor langer Zeit angemeldet mich dort gerne mal zu treffen. Von dort geht auch eine Fähre nach Montevideo, sodass ich auch meine Bekannte aus Cartagena besuchen könnte. Um dem Ganzen aber noch die Krone aufzusetzen spielt meine Lieblingsband aus Uruguay in Mar del Plata. Es war eines meiner Ziele sie einmal entweder in Argentinien oder Uruguay live zu sehen.
So wird ein dreiwöchiger Roadtrip gebohren: Mit dem Bus von Viña del Mar über die Grenze in die Weinregion Mendoza. Von dort mit dem Flieger auf den Tag genau 2 Jahre und 10 Monate nach meiner letzten Einreise wieder nach Buenos Aires, kurz mit der Fähre nach Uruguay und zurück und dann mit dem Bus nach Mar del Plata, wo No Te Va Gustar im argentinischen Hochsommer spielen werden.
Mühsam kämpft sich der Bus immer höher in die Anden um dort die Grenze zu passieren.







Ich bin wieder da und wir müssen reden…
