Argentinien – Mendoza

Zwar gab es diesmal aufgrund eines neuen Grenzsystems zwischen Chile und Argentinien leider keinen Stempel in meinen Pass, dafür wurde aber, anders als beim letzten Mal, bei dieser Einreise auch der internationale Reiseverkehr nicht eingestellt.

Argentinische Pesos

Nach etwa 6 Stunden Busfahrt komme ich in Mendoza an. Unorganisiert wie ich bin, habe ich kein argentinisches Geld, keine funktionierende SIM Karte und natürlich auch weder Ahnung noch Möglichkeit zu zu prüfen wie viel Argentinische Pesos man wohl für einen Euro bekommt. Von meinem letzten Aufenthalt weiß ich, dass es hier etwas kompliziert mit den Banken ist und Bargeld lieber gesehen wird als Karte.

Ähnlich wie auf Kuba sollte man in Argentinien auf gar keinen Fall das Geld von der Bank holen. Das liegt an einer von der Regierung künstlich festgelegten Untauschrate, die derzeit um die 178 AR$ für 1 USD beträgt.

Diese Festlegung geschah in der Hoffnung die extreme Inflation in den Griff zu bekommen. Damit nun nicht alle ihr Geld in USD umtauschen, gibt es einen oberen Grenzwert, den ein Argentinier in seinem Land umtauschen kann. Dazu kommt eine heftige Steuer auf Geldtausch. Und wie das immer so ist, wenn etwas künstlich verknappt wird: Es steigt sofort der Bedarf. So schützt man sein Geld nun, indem man an der Kontrolle und den Steuern vorbei auf der Straße USD zum sogennanten Kurs „Dollar Blue“ kauft. Der Kurs auf der Straße ist derzeit in etwa das Doppelte des offiziellen, also 366 AR$ pro 1 USD. Das ist doof wenn man Pesos in USD tauschen muss, aber hervorragend, wenn man USD/Euro in Pesos tauschen will, weil mit dem so getauschten Geld nun alles um die Hälfte günstiger wird.

Richtig doof wird es, wenn man kein ausländisches Geld dabei hat. In dem Fall muss man entweder Teuer zur Bank, oder aber sich ein Western Union Konto anschaffen. Mit diesem schickt man sich einfach selber Geld nach Argentinien und bekommt es dort zum Dollar Blue Kurs ausgezahlt. Abzüglich der Gebühren für eine Western Union Überweisung immer noch ordentlich Gewinn. Weil aber jeder Reisende auch sofort davon erzählt bekommt, sollte man sich auf lange Schlangen einstellen. Ab Mittags kommt es dann nicht selten vor, dass die jeweilige Auszahlstelle kein Bargeld mehr hat und man am nächsten Tag wiederkommen muss. Geduld und ein Wecker bringen einen hier also weiter.

Und wenn man mal so richtiges Glück hat, auch ohne es so wirklich zu verstehen, dann kann man bei einer Kartenzahlung auch herausfinden, dass die eigene Bank ebenfalls in Dollar Blue umtauscht und muss sich fortan kaum mehr Gedanken über die Beschaffung von Bargeld machen, auch wenn man immer welches brauchen wird. Zu diesen Glücklichen gehöre ich mit meinem DKB Konto.

Mendoza

Das alles wusste ich natürlich bei meiner Ankunft am Terminal, abgeschnitten vom Internet, nicht. Mehrere Versuche den aktuellen Kurs herauszubekommen, um wenigstens zu wissen wie viel Geld ich abheben sollte, scheiterten an Unfähigkeit oder zumeist Unwillen zu helfen.

Besonders hervorragend war der Herr in der Wechselstube, in der ich meine etwa 120 Euro in chilenischen Pesos in argentinische tauschen wollte. Er wolle an dem Tag kein Geld mehr tauschen sagte er mir, als er, Mittags um 12, am Handy spielte. Einen Grund nannte er nicht. Geht nicht. Oder so… Was wohl der aktuelle Kurs Eur/Peso sei erkundige ich mich. „Weiß nicht“ sagt er und spielt weiter auf dem Handy. Ob er wohl nachschauen könnte, auf seinem Handy, oder in seinem System: „Nein“. Ob er mir mal in etwa ne Nummer geben kann. 1:1, 100:1 100000000000:1. Irgendwas damit ich weiß was ich da eingeben muss. Ne, sagt er, da könne er mir nichts verlässliches sagen. Wer weiß schon ob die Zahl sich auf dem Weg zum Automaten nicht veraltet sei. Ob er mich eigentlich verarschen will, frage ich ihn nicht mehr. Er ließ sich aber nicht nehmen mir hinterherzurufen, dass es unhöflich sei einfach zu gehen.

Argentinien verliert weitere Punkte auf der Sympathieskala, auf der es eh schon keinen allzuhohen Stand hat. Allerdings nur für einen sehr kurzen Augenblick, denn die Dame gegenüber, von der Gepäckannahme, die ist ziemlich entrüstet über den Kollegen der Wechselstube und bekommt auf ihrem Handy zwar den aktuellen Kurs nicht raus, begleitet mich aber einmal quer durchs Terminal, um mir einen der Geldhändler zu zeigen. Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Super Nintendo Adventure Game, in dem ich hinter der Bushalte den Juwelenhändler der jeweiligen Stadt gefunden habe, bei dem ich nun meine Beute des letzten Abenteuers in nützliche Dinge für das nächste tauschen kann.

Zu einem tatsächlich ganz guten Kurs tauscht er mir die chilenischen in argentinische Pesos und nach einem etwas stockenden Anlauf habe ich nun Schmierstoff um aus dem Terminal zu kommen.

Geldabheben sieht wie ein Bankraub aus (250 Euro ~ 89.000 AR$ )

Little England

Mein erstes Hostel ist eine Katastrophe mit Ansage. Die Bewertungen bei Hostelworld sagen durch die Bank weg, dass der Zustand des Hostels unter aller Sau sei, das Ambiente aber dafür umso besser und es sich leicht Leute kennenlernen lässt. Auf der Suche nach neuen Bekanntschaften buchte ich also drei Nächte. Die Bewertungen waren nicht falsch.

Klotüren müssen mit der Hand geschlossen gehalten werden, den Duschen fehlen Duschköpfe und Drehknöpfe für das Wasser, drei Hunde und eine abgemagerte Katze wohnen im Hostel und am liebsten in der Küche, sämtliche Polster sind mindestens vor 20 jahren schon abgesessen gewesen, die Matratzen und Kissen sind dabei sich in wohlgefallen aufzulösen und mittlerweile schwarz gefärbt und die Sicherheit ist ein Witz. Die abschließbaren Fächer sind entweder so fragil, dass ein beherztes Ziehen die Tür mit, oder ohne Schloss problemlos öffnet oder es fehlt einfach gleich die ganze Seitenwand, was ein Abschließen komplett sinnlos macht.

ABER

Aber es gab jeden Abend kostenlosen Rotwein aus Mendoza. Jeden zweiten Tag wurde für einen schmalen Taler gegrillt, jeden anderen gab es Pizza selbstgemacht. In diesem Ambiente ist es wirklich unglaublich einfach andere Reisende kennenzulernen. Wer betrinkt sich nicht gerne mit billigem Wein und reichlich, enorm gut gegrilltem Fleisch? Zumal wenn es so viele Missstände schönzutrinken gibt?

So lerne ich schnell meine Zimmerkameraden kennen. Zwei Jungs und ein Mädel aus England, die gemeinsam durch Südamerika reisen. Am zweiten Tag kommt noch ein junger Israeli dazu, der ebenfalls Solo unterwegs ist.

Es sind wirklich nette Leute, die mich auch zu allem einladen und allgemein sehr integrativ sind. Ich hingegen fühle mich in die Vergangenheit versetzt. England kenne ich, Engländer, so als Gruppe, kenne ich und beides habe ich vor 10 Jahren zurückgelassen. Ich bin hier für la vida latina und in einer Gruppe die auf Englisch redet und auch nur wenig spanisch spricht, isoliert man sich eben genau von den spanischsprachigen Menschen, die manchmal auch kein Englisch sprechen. So tauschen wir Kontakte aus und versprechen uns in Kontakt zu bleiben und ich ziehe um, in ein Hostel, das keine stehende Ruine ist und obendrein einen bei 35 Grad dringend benötigten Swimming Pool hat.

La vida latina

In meiner neuen Unterkunft werde ich direkt von einem freundlichen Mexikaner begrüßt. Wir sitzen am Nachmittag im Pool und weil er dem Trinken nicht abgeneigt ist, hat er eine Flasche wirklich guten Rotwein aus der Region dabei. Diese (erste von vielen) Flasche teilen wir uns über den schmalen Pool hinweg und als sich immer mehr Gäste dazugesellten, lerne ich eine Gruppe kennen, die über die nächsten Tage mein Bild von Argentinien ganz enorm zum Positiven verbessern wird.

Da sind die beiden französischen Köche, die ein Work & Travel Visum in Argentinien haben und mich innerhalb der ersten zwei Gläser Wein direkt zum Grillen am Abend einladen. Sie würden eh was machen, da sei das kein Problem für einen mehr einzukaufen. In der folgenden Woche vergeht eigentlich kein Tag, an dem die beiden nicht für die ganze Gruppe etwas kochen oder grillen werden.

Im Pool versammelt, erzähle ich von meinem letzten Argentinienaufenthalt und alle sind sich einig, dass das nun wirklich nicht typisch sei und ich Argentinien doch bitte eine zweite Chance geben solle. Die meisten von ihnen sind junge Argentinierinnen, die im Sommerurlaub in Mendoza gelandet sind und sich irgendwie im selbigen Pool kennengelernt haben. Am nächsten Tag kommen noch zwei Freunde aus Brasilien und etwas später Bea aus Lima dazu. Es ist eine tolle Mischung aus Leuten, die am Tag, jeder in Grüppchen, ihr eigenes macht. Ab Nachmittag oder Abend findet man sich am Pool ein. Die Besitzerin des Hostels ist eine herausragend freundliche Dame, die allerlei Craft Beer und Wein im Angebot hat, sodass eigentlich immer eine Dose oder Flasche offen herumsteht.

Gegen späten Abend ziehen die beiden Franzosen regelmäßig los, um etwas zum Kochen zu kaufen. Jeder aus der Gruppe ist eingeladen und es gibt immer reichlich. Die anderen ziehen los um Wein oder Bier zu kaufen, das ebenfalls einfach in die Mitte gestellt wird. Wieder andere kaufen Fernet, eigentlich ein Aperitif aus Italien, aber irgendwie zum Nationalgetränk der Argentinier avanciert, trinkt man ihn mit reichlich Cola und Eis. Ähnlich dem Mate macht der Fernet in seinem kalten Metalbecher regelmäßig die Runde. Alles wird geteilt und das sorgt Abend für Abend für eine entspannte, gut gesättigte und stets alkoholisierte Runde.

Typischer Abend, diesmal mit Salchipan (Würstchen mit Brötchen)

An einem dieser Abende behaupte ich einfach, dass Victoria, eine der Argentinierinnen, meine Freundin sei. Sie steigt sofort darauf ein und wir werden zu einem imaginären Paar. Das bleibt nicht folgenlos, den Sol möchte nun ebenfalls meine imaginäre Freundin sein. So einigen wir uns darauf, dass die eine die Novia aus Mendoza, die andere aber die Novia aus Argentinien sei. Bea und ich teilen uns am nächsten Abend eine Flasche Wein und als sie von meinen beiden Freundinnen hört, befindet sie, dass ich auch eine imaginäre Freundin aus Perú brauche. So wird aus dem Single Sebastian, der Frauenheld Sebastián. Als dann noch mehr Alkohol fließt, übernehmen die Mädels und wollen ein gemeinsames Foto.

Der Abend endet mit der gesamten Gruppe in einer Disko mit Drag Queen Show. Einige bleiben bis 5 Uhr morgens und ich bin so doof und fahre am nächsten Tag nach San Rafael.

San Rafael

Manchmal findet man auf Reisen eine richtig tolle Gruppe und sollte trotzdem den richtigen Zeitpunkt des Absprungs finden. Die anderweitig schönen Erinnerungen werden sonst überlagert von Problemen des zu langen aufeinanderhockens. Manchmal hingegen sollte man einfach genießen das man tolle Leute gefunden hat. Die Entscheidung zu treffen wann es Zeit ist zu gehen, ist nie einfach und manchmal liegt man einfach mal daneben.

So hadere ich, etwas verkatert, mit mir, entscheide mich dann aber nach San Rafael zu fahren.

Das ist ein kleines Dorf etwa 5 Stunden von Mendoza entfernt und um es kurz zu machen: Sterbenslangweilig. Die Unterkunft ist solala, das Dorf nahezu tot und ja in der Umgebung kann man tolle Sachen machen, aber irgendwie sind hier nur Paare unterwegs. Langweilig.

Das Highlight in San Rafael ist am Sonntag einen offenen Laden zu finden. Wir sind mitten in einer Wüste und es sind 38 Grad. Es ist nicht eine Wolke zu sehen und erbarmungslos strahlt der Feuerball am Himmel auf die Siedlung. Niemand ist zu sehen und ich suche einen Supermarkt. Durch das T-Shirt durch verbrenne ich mir unbemerkt den gesamten Rücken und die Schultern auf dieser zweistündigen Suche in der glühenden Nachmittagshitze. Es ist so heiß, dass die Restaurants erst um 21 Uhr wieder aufmachen, weil vorher an Essen gar nicht zu denken ist.

Eigentlich hatte ich 3 Tage hier geplant, verkürze dann aber fix auf 2 Nächte. Es ist langweilig hier. Langweilig und heiß und in der Hitze: Langweilig.

Allerdings lerne ich auch hier ein paar spannende Leute kennen. Agustina und Augusto zum Beispiel. Zwei Freunde, die am nächsten Tag nach Mendoza aufbrechen. Agustina hat einige Zeit in Deutschland (Erfurt) studiert und gleich mit diesem Gesprächsthema ausgerüstet, fällt es leicht sich kennenzulernen.

Die beiden fahren am nächsten Morgen mit ihrem Auto nach Mendoza und ich würde zu gerne mitfahren, da ich San Rafael, falls ich es noch nicht erwähnt habe, super langweilig finde. Allerdings habe ich einen der seltenen Arbeitstermine, der nicht verschiebbar ist und Naja, was macht schon eine weitere Nacht aus? Außer mehr Langeweile eigentlich nichts.

Mendoza

Eine Nacht und weitere fünf Busstunden neben einem sehr haarigen, übergewichtigen, Herren mit Näheproblem später, bin ich zurück in Mendoza. Gemeinsam mit meinen beiden Bekannten aus San Rafael fahre ich zu einer der vielen Winzer und lasse mich über Wein aufklären und vor allem natürlich bei gutem Grillfleisch auch ordentlich verköstigen.

Eine weitere Erfahrung die mir dieses Mal noch fehlte, war natürlich der Mate. Einen Argentinier ohne Mate zu finden ist nahezu unmöglich. Mate wird immer und überall getrunken. Dabei handelt es sich um yerba – Man stelle sich Teeblätter vor. Die wird in ein Gefäß mit Strohhalm gefüllt und nach und nach wird heißes Wasser aus einer Thermoskanne nachgegeben. Mate ist eine Gemeinschaftserfahrung und der Becher wird stets in der Runde herumgereicht. Jeder nibbelt vom Strohhalm, der aus Metall ist und alle genießen gemeinsam. Mir schmeckt Mate nicht so wirklich, aber die Idee des Mate, des und gemeinsamen Genießen, die gefällt mir sehr.

Die Gruppe begann sich langsam aufzulösen und wie jeder Einzelne zu seiner neuen Destination, oder wieder nach Hause aufbrach, kamen immer weniger Leute zum abendlichen Grill- und Trinkgelage. Am allerletzten Abend, bevor wirklich auch die letzten aufbrechen, gesellte sich ein Argentinier zur Gruppe, der sich am Abend zuvor von den Franzosen angestachelt fühlte und uns einen echten argentinischen Grillabend versprach.

Tatsächlich war das Fleisch an diesem Abend nochmal extra gut, extra lecker und extra zart.

Das deutsche Selbstbild

Bier und Wurst, so heißt es, darin seien wir in Deutschland, weil nie auf eine Fussballreferenz verzichtet werden kann, Weltmeister. Mit gutem Marketing verkaufen wir diese Idee seit Jahrzenten in die Welt und so kann Kalle dann im Ausland doch noch auch etwas stolz sein und das deutsche Fähnchen ein bisschen höher halten, wenn er mal wieder auf jemanden trifft, der auf dieses Marketing hereingefallen ist.

Um zu verstehen, dass es sich dabei um nicht verschwinden wollende Vorurteile und eben gute Eigenwerbung mit ordentlicher Prise Selbstbeweihräucherung handelt, dafür braucht man nicht weit reisen.

Einmal im Ausland, merkt man schnell, dass es auch Alternativen zu den unendlichen Variationen der immer gleichen Pils-Brühe gibt. Lokale Ausnahmen im Ruhrgebiet mal ausgeschlossen. Ja, ich mag halt kein Pils. Ist halt so.

Das es auch leckere Würste abseits von Bratwurst und Thüringer gibt, kann man sogar im sonst eher kulinarisch fragwürdigen England erfahren. Auch wenn die Vielfalt in Deutschland tatsächlich einmalig sein dürfte.

Wer aber mal so richtig an diesem wohlgepfelgten Selbstbild rütteln möchte, der sollte mal an einem argentinischen Grillabend teilnehmen. Mit einer ausgeprägten Craft Beer Kultur gibt es reichlich flüssiges abseits verschiedener Pils zu entdecken. Vom Wein ganz zu schweigen. Die langsame Art zu Grillen aber lässt einen wirklich neue Höhepunkte des Fleischgenuss entdecken. Keine Soßen notwendig, einfach richtig zartes Fleisch, etwas Salz und Pfeffer, wenn überhaupt, und mehr braucht es nicht.

Die Kultur des Teilens trägt ihr übriges zu einem gelungenen Abend bei und angenehme 25 Grad in der Nacht lassen den Abend bis ins unendliche strecken.

Aufbruch

Ein paar neue Gesichter, aber die Gruppe ist kleiner am letzten Abend.

Nach diesem schönen letzten Abend breche ich am nächsten Tag auf zum Flughafen. Nach knapp drei Jahren, geht es nach Buenos Aires. Der Ort an dem die letzte Reise so abrupt ihr Ende nahm.

Kurz vor Abflug werde ich doch noch einmal nervös. Da kommen ein paar Erinnerungen hoch. Aber ein zurück gibt es nicht mehr.

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