Nach zwei Wochen der gemeinsamen Reise, geht es für mich wieder alleine weiter. Ich lerne eine weitere Lektion in kolumbianischer Zuverlässigkeit und ein weiteres Krankenhaus in Lateinamerika kennen.

Ghosting in Medellín
Bereits im Dezember bin ich mit einem sozialen Projekt in Kontakt gekommen, das jungen Erwachsenen der Comuna 13 in einem Programm über mehrere Monate Softwareentwicklung beibringt und sie anschließend in Festanstellung übermitteln möchte. Ein weiteres Bildungsprojekt um benachteiligten Menschen eine Möglichkeit auf eine bessere Zukunft zu geben. Dort wollte ich gerne als Freiwilliger über ein paar Monate oder einen Klassenzyklus teilnehmen. Da ich im Dezember quasi nur auf der Durchreise bin, kommt es leider nicht zu einem Treffen. Aber wir bleiben im Austausch. Im Januar, noch aus Argentinien, bestätige ich noch immer Interesse zu haben und wir einigen uns darauf uns im Februar kennenzulernen. Genauer gesagt am 10. Februar, genau den Tag an dem Stefan wieder Richtung Hannover unterwegs ist. Unter anderem wegen diesem Termin endet unsere Reise in Medellín und nicht in Bogotá.
Nachdem wir uns alle im Klaren sind und uns gegenseitig bestätigt haben, dass es am Freitag, den 10. Februar losgehen soll, bleibt eigentlich nur noch Ort und Uhrzeit festzulegen. Am Dienstag also frage ich bei meinem Kontakt nach diesen Details und bekomme vorerst keine Antwort. Zwar ahne ich schon, dass das kein gutes Zeichen ist, aber kann ja auch sein, dass er beschäftigt ist und nicht dazu kam zu antworten. Also frage ich am Mittwoch noch einmal nach wann wir uns denn am Freitag treffen wollen. Donnerstag morgen bekomme ich zur Antwort, dass er gerade beschäftigt sei, mir aber am Abend genauer sagt, wann und wo das Treffen am nächsten Tag stattfinden soll. Als ich um 22 Uhr noch immer keine Antwort habe, frage ich abermals nach, sehe das er auch noch Stunden danach bei WhatsApp online ist, meine Nachricht aber nicht gelesen hat. Der Freitag und das Wochenende kommen und gehen und als ich auch am Dienstag noch immer keine Antwort bekommen habe, habe ich die Nummer gelöscht. Selbst ein abschließenden Kommentar zu diesem unterirdischen Verhalten verkneife ich mir. Eine Antwort habe ich bis heute nicht bekommen.
Nochmal: Es ging darum, dass ich meine Zeit für ihr Projekt geben wollte. Unentgeltlich. Nachdem er mir 2 Monate lang erzählte, wie toll er das findet und wie nötig die Hilfe sei, hat er nicht mal die Eier in der Hose irgendeine Ausrede zu erfinden. Stattdessen entzieht er sich wie ein Kleinkind, das den Kopf unter die Decke steckt und so tut, als wäre es nicht da. Wohnung war schon halbwegs organisiert, Sportmitgliedschaft war schon in der Mache und die Metro Karte aufgeladen um jeden Tag dort auftauchen zu können. Was für ein Arschloch!
Damit ist er leider nicht alleine in Kolumbien. Es ist ein gängiges Mittel sich einfach nicht mehr zu melden, wenn es gerade unbequem wäre abzusagen, oder eine nicht so schöne Nachricht zu überbringen. Statt Auseinandersetzung wird man halt geghostet, bis zu dem Tag, an dem man wieder nützlich ist. Dann wird freilich so getan als wäre nie was geschehen. Man ignoriert einfach sein durchaus asoziales Verhalten, in der Hoffnung das Gegenüber wird das auch tun.
Nun möchte ich nicht behaupten dies sei ein Phänomen, das nur hier zu finden sei. Gar nicht. In Deutschland kenne ich durchaus auch Leute, die sich dem ghosting bedienen, wenn es ihnen gerade genehm ist. Das Verhältnis ist aber ein anderes. Hier kommt es schon wesentlich häufiger vor. So häufig, dass ich mir irgendwann angewöhne damit zu leben.
Da meldet sich einer nicht mehr? Na gut, dann suche ich mir jemand anderes zum Essen gehen/Party machen etc. Die wesentlich offenere Latinokultur lässt es problemlos zu, dass man alleine losgeht und mit 20 neuen Freunden aus einer Bar hinausstolpert. Man sollte sich nur bewusst sein, dass die Meisten dieser neuen Freunden einen vermutlich in der Sekunde, in der sie was besseres zu tun haben, fallen lassen wie einen heißen Braten. So dreht sich das Rad des Kennenlernens häufig immer wieder von vorn.
Es ist ein ganz krasser Kontrast zu der deutschen Kultur in der Freundschaft anders aufgebaut und gepflegt wird. Diese verhindert in ihrer unendlichen Langsamkeit viel spontanes und ist bei weitem nicht frei von Fehlern. Diesen Unterschied sollte man aber kennen wenn man hier her kommt um Einheimische kennenzulernen. Wie gesagt gilt das nicht für alle. Ich habe auch viele zuverlässige Menschen hier kennengelernt, die pünktlich ihre Verabredungen einhalten ohne wenn und aber. Doch auch die Beschweren sich über die unzuverlässige Kultur, die hier vorherrscht.
Ein Ritual, das hier gepflegt wird, ist die Bestätigung einer Verabredung. „Me lo confirmas?“ „Bestätigst du es mir?“, wird man häufig gefragt. Wird z.B. an einem Montag eine Verabredung für irgendeinen beliebigen Tag der kommenden Woche um 13 Uhr getroffen, bekommt man in der Regel an diesem Tag so gegen 11 Uhr einen Text oder Anruf, ob man die Verabredung noch immer Bestätigt. Kommt die Bestätigung nicht, oder wird man nicht kontaktiert, findet die Verabredung höchstwahrscheinlich nicht statt. Darüber gesprochen wird dann nicht.
Jetzt stellt euch in dieser Kultur mal die deutsche Unart vor Einladungen für in einem halben Jahr zu Versenden und schon 5000 Jahre im Voraus eine feste Zusage, am besten mit präziser Anfahrt und Abreisezeit zu verlangen. Ferner können zwei Verabredungskulturen nicht sein.
Nach nunmehr vier Monaten hier verschiebe ich meine Grenzen des akzeptablen, lasse mich ghosten und beschwere mich nicht wenn sie sich Wochen oder Monate später wieder melden. Es kommt dabei aber auch ganz klar und egoistisch darauf an, ob ich mir Vorteile davon verspreche mit diesen Personen wieder in Kontakt zu treten. Gibt es keine Vorteile für mich, bekommen sie keine Antwort. Wer andere so scheiße behandelt, hat es nicht anders verdient und auf eine etwas beunruhigende Art freunde ich mich mit diesem System sogar irgendwie an.
Das Ghosting des Projekts allerdings hat mich wirklich hart, weil unerwartet, getroffen. Ich habe mich sehr darauf gefreut teilzunehmen und muss gestehen, dass ich danach in ein Loch gefallen bin, aus dem es nur schwer war wieder herauszukommen. Es ging ja schließlich nicht nur um eine Freizeitbeschäftigung. Meine Reise- und Visapläne hingen davon ab.
All die Planung war also hinüber und auch wenn ich mich um einen Ersatz bemühte. So wirklich fündig bin ich, auch mit externer Hilfe, nicht geworden. Und Medellín konnte mich auch irgendwie mal am Arsch lecken mit seiner blöden La 70ta.
Abschied in Cartagena
So ergab es sich ganz gut, dass Lula sich meldete. Lula kommt aus Argentinien und wir haben uns im Dezember in Medellín kennengelernt und einen fantastischen gemeinsamen Reisetag miteinander verbracht. Manchmal braucht es einfach nicht viel, um zu erkennen, dass man sich wirklich gut versteht und so sind wir über all die Zeit in Kontakt geblieben. Sie hat mir Tipps gegeben, was ich in Argentinien machen kann und trotz aller Bemühungen uns in Kolumbien wieder zu treffen, sind wir irgendwie immer an verschiedenen Orten unterwegs gewesen.
Ihr Visum war dabei abzulaufen und sie war gerade in Cartagena. Ich liebe Cartagena, also buche ich mir einen Flug. Auch um einfach aus Medellín weg zu kommen. Weil ich nun schon zum unzähligen Mal hier bin, zeige ich ihr ein paar Orte außerhalb von Getsemaní, die trotzdem besonders sehenswert sind. So sitzen wir an ihrem letzten Tag in der Stadt gemeinsam bei Chips und Bier auf der Mauer eines alten Castillo und genießen den Sonnenuntergang.


Krank in Bogotá

Die letzten zwei Monate war ich nur mit einem kleinen Rucksack unterwegs und hatte meinen großen Koffer bei José in Medellín unterbringen können. Den Koffer hatte ich nun wieder bei mir und auch wenn ich eigentlich in die kleinen Dörfer entlang der Karibik Küste wollte, war das mit dem Brocken einfach nicht machbar, oder nur sehr kompliziert umsetzbar. In manche Dörfer fährt zuweilen nur ein MotoTaxi – Motorradtaxi. Koffer nehmen die nicht mit.
Also versuchte ich das große Ding wieder loszuwerden. Und weil Anas Mutter mir anbot den Koffer bei ihnen in Bogotá unterstellen zu können, fand ich mich in einem Flieger zurück nach Bogotá wieder.
Weil ich es das letzte Mal in Chapinero doch ganz nett fand, ging ich dorthin zurück. Sofort gut gefallen hat mir, dass man hier, auch als Tourist, in Ruhe gelassen wird. In Cartagena kann man keine zwei Meter gehen, ohne nicht von mindestens vier Leuten penetrant Getränke angeboten zu bekommen, drei Personen einem versuchen Sonnenbrillen zu verkaufen, ob man eine trägt oder nicht, und von mindestens fünf Taxifahrern aggressiv angehupt zu werden, in der Hoffnung man wolle irgendwohin fahren. Wobei drei davon nach 10 vergeblichen Hupversuchen auch Aussteigen und einem „Taxi, Taxi“ ins Ohr brüllen, für den Fall dass man dumm ist und nicht verstanden hat, was das Hupen und die wilden handgesten bedeuten sollten. Ist man am Strand, kommen noch zwei drei aufdringliche Masseusen dazu, die sich, wenn man sie nicht sofort harsch und aggressiv davon schickt, einfach neben einen setzen und anfangen eine Massage zu geben. Die soll man dann natürlich bezahlen. Ist ja klar.
Mit anderen Worten: Bei aller Liebe, Cartagena hat auch so seine anstrengenden Seiten.
In Bogotá hingegen will einem keiner seinen Kram aufdrängen. Die Verkäufer lassen einen die Waren anschauen, ohne zu versuchen einem Dinge aufzuquatschen und es brüllt einem auch keiner ständig ins Ohr, dass es Getränke zu kaufen gibt, oder in welches Restaurant man gehen solle. Dafür ist es kälter (15-22°), bzw. in der Nacht regelrecht Kalt (4-9°). Ausgenommen die Temperaturen, ist es sehr angenehm und ich entscheide mich erstmal einen Monat hier zu verweilen um ein bisschen runter zu kommen und meine Reise wieder neu ausrichten zu können. Außerdem hatte ich für ein paar Tage Arbeit in einem Projekt zu erledigen und da die Kälte hier einen nicht unbedingt vor sie Tür gehen lassen muss, kam mir die Stadt perfekt dafür vor.



Das Problem in Bogotá kam schleichend daher und hat mit seiner Höhenlage zu tun. Die Stadt liegt, wie bereits berichtet, auf 2.600m Höhe. Die Höhenkrankheit kann bereits ab 1.800m einsetzen, auch wenn das sehr niedrig ist. In Bogotá allerdings kommt es schon häufiger vor, dass Menschen daran erkranken.
Im Prinzip kommt der Körper auf den raschen Abstieg des Sauerstoffgehalts nicht klar und reagiert in milden Fällen mit Kopfschmerzen und Erschöpfung. Man soll sich nicht überanstrengen und nach ein paar Tagen ist gut. Der Körper gewöhnt sich dran und die Symptome gehen vorüber. In stärkeren Fällen, normalerweise in höheren Höhen, so ab 3000/4000m kann es schon schlimmer werden und es können sich Bläschen in der Lunge bilden. Die Erschöpfung lässt nicht nach und zu ihr gesellen sich Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und Atemprobleme. Man sollte in Höhenlagen absteigen, in denen der Sauerstoffgehalt wieder höher ist, bis die Symptome aufhören.
Die ersten Tage Erschöpfung war ich schon gewohnt und den zur Neige gehenden Vorrat an Ibuprofen kann man in Kolumbien auch Problem- und Rezeptlos mit Ibu 800mg auffüllen. In der zweiten Woche fiel mir zwar auf, dass ich immer noch atemlos durch die Gegend schlich, aber ist das nicht Normal, dachte ich. Anfänglichen freute ich mich, dass ich irgendwie nur noch zwei Mal am Tag sehr wenig essen musste. Wollte ja eh abnehmen, aber wegen der Atemlosigkeit ging fitti (noch) nicht. Aus den zwei Mal am Tag Essen wurde dann schnell nur noch einmal am Tag und irgendwie habe ich einen Tag Nudeln gekocht, von denen ich vielleicht so 50 gram gegessen habe. Danach war ich satt. Bei der Bewegungsfähigkeit hat diese Enthaltsamkeit nicht geholfen. So schlapp fühlte ich mich, dass es manchmal zu schwer war zum Supermarkt zu gehen. Naja, dachte ich dann. Hunger habe ich ja eh nicht. Dazu kam, dass mir der obere Rücken ganz mies geschmerzt hat. Jedes Gehen zieht diese Rückenschmerzen nach sich, dass ich mich danach erstmal hinlegen musste.
Dann, eines Nachts ziehen die Schmerzen vom Rücken in die Brust. Die Atmung wird schwerer, kalter Schweiß bricht aus und das Herz fängt an zu rasen. Als diese Symptome auch am nächsten Tag nicht nachlassen, sondern in Attacken immer wieder kommen, erzähle ich Valentina davon und ich glaube, wäre es möglich durch ein Telefon zu springen, hätte sie dies getan um mir eine zu knallen. „Du gehst sofort ins Krankenhaus!“ befielt sie mir und wie in diesem Moment das Herzrasen immer stärker wird, und ich mittlerweile in meinem eigenen Saft sitze, denke ich, dass sie vielleicht recht haben könnte.
Anas Eltern sind die vertrauenswürdigen Personen, die ich in Bogotá kenne, also rufe ich sie an und erkundige mich, wie Krankenhaus hier so funktioniert. Sie fragen warum und ich sage ihnen, dass ich Symptome eines Herzinfarkts habe, aber nicht sicher bin, ob es ernst ist. Besser ins Krankenhaus, sagen auch die beiden. Und so geht es ins Krankenhaus in Kolumbien. Der Krankenwagen wurde zwar gerufen, aber da ich irgendwie nicht sicher war, ob ich alles richtig verstanden habe, bin ich doch zu Fuß in etwa 1,5 km entfernten Krankenhaus gegangen. Als ich etwa 30 Minuten später dort ankam, bekam ich einen Anruf, dass ein Krankenwagen nun zur Verfügung stände und demnächst bei mir sei, sollte ich ihn noch brauchen. Brauchte ich nicht, sagte ich und bedankte mich für den schnellen Rückruf.
In der Notaufnahme angekommen das Wichtigste zuerst: Habe ich Versicherung oder genug Geld selber zu zahlen? Ich gebe ihr meine Kreditkarte und sage das mir alles egal ist, weil mein Herz gerade ganz schön Chaos macht. Das reicht um zur Triage vorgelassen zu werden. Das EKG ist auffällig, der Puls bei 150 und der Blutdruck jenseits von Gut und Böse.
Fleißig wird alles aufgeschrieben und die Ärztin geht mit mir zum Empfang. Sie bittet die Dame mich versicherungstechnisch aufzunehmen und das Finanzielle zu regeln. Sie solle sich beeilen, man könne nicht ausschließen, dass ein „kardiologisches Event“ bevorsteht.
Nun, Eile und Kolumbien sind jetzt nicht unbedingt zwei Wörter die ich nebeneinander stellen würde. Aber für ihre Möglichkeiten geht es dann doch ganz fix, glaube ich. So eine halbe Stunde stark schwitzend und mit Herzrasen am Tresen stehend, werde ich, nach viel Bürokratie, mindestens 10 Unterschriften und zwei mal Fingerabdruck geben, gebeten zur Kasse zu gehen und meine Sicherheitszahlung von 200 Euro zu leisten. Ich schlurfe los, durch leere Gänge, bis zur Kasse. Dort in kolumbianischer Eile bezahlt, auf die Quittungen warten, zwei Mal unterschreiben, den Schweiß unauffälig vom Tresen wischen und den roten Zettel als Zahlungsnachweis mitnehmen. Im Schneckentempo zurück durch die leeren Gänge zum Tresen, den roten Zettel abgegeben, die Quittungen auch noch eben vorzeigen um sicherzugehen, noch zwei Zettel unterschrieben und schon ist Herr Herzpatient aufgenommen. Ging doch dann recht zügig, oder so.

Ab diesem Zeitpunkt allerdings ist das Versorgungssystem hervorragend. Sicherlich weil ich dank meiner Sicherheitsszahlung als Privatpatient behandelt werde, geht alles super fix. Die Ärztin nimmt sich viel Zeit alles zu erfassen und den Prozess zu erklären. Da ich in Deutschland Patient/Mensch zweiter Klasse bin, kenne ich eine so vorzügliche, und vor allem schnelle Behandlung nicht.
Das Ende vom Lied ist dann, dass es sich vermutlich um einen ernsteren Fall der Höhenkrankheit handelt. Um sicherzugehen, dass ich keine Blasen in den Lungen habe, muss ich zur Beobachtung dableiben, bis die letzten Blutwerte analysiert wurden. Im Krankenhausbett gibt es 100% Sauerstoff in die Nase gepustet und holla die Waldfee. Kaum sitzen die Schläuche und das Zeug fließt, spüre ich wie es mir besser geht. Der Effekt ist sofort und ohne Verzögerung spürbar. Der Sauerstoffgehalt im Blut steigt von 92% auf 98% und die 6% lassen einen kleinen Herkules aus mir werden.

Als besonderer Service wurde jede Interaktion mit einem Arzt/Ärztin damit begonnen, dass ich aufgeklärt werde fett zu sein und dringend was daran ändern sollte. Hat das was mit meinen aktuellen Problemen zu tun, frage ich irgendwann entnervt zurück. Nicht direkt, aber du bist fett und solltest was daran ändern. Ah Dankeschön.
Nach ein paar Stunden kommt der freundliche Arzt der Nachtschicht und fragt mich ob es mir besser ginge. Tut es, bejahe ich. Er schaut mich etwas traurig an und sagt mir, dass ich fett bin und dringend was daran ändern sollte. Ob das wohl einen Einfluss darauf hat, ob ich bleiben muss, oder gehen kann, frage ich ihn. Nein, die Werte sind alle gut, und wenn ich mich gut fühle darf ich gehen. Allerdings bin ich fett und sollte was daran ändern, erwidert er freundlich. Ich freue mich gehen zu dürfen. Er stöpselt mich von den Maschinen ab und rät mir in Bogotá keine Anstrengungen zu unternehmen, da sich das Problem sonst wahrscheinlich wiederholt. Ich sollte allerdings überlegen Sport zu machen, denn ich bin fett und sollte dringend was daran ändern. Allerdings nicht in Bogotá. Wenn ich aber kein Sport mache, bleibe ich fett und das sollte ich dringend ändern. Was denn nun genau das Problem gewesen sei frage ich. Als Ursache wird eine Entzündung der Atemwegsmuskulatur vermutet. Durch den weniger anwesenden Sauerstoff, musste sie eh schon mehr arbeiten. Durch meine großen Mandeln, kommt es zu Atemproblemen in der Nacht. Die Muskulatur wurde noch mehr beansprucht, hat sich schließlich wohl entzündet und noch weniger funktioniert. Als Folge kam noch weniger Sauerstoff rein und der Körper hat ein Notfallprotokoll losgetreten, dass zufälligerweise mit den, zugegebenermaßen recht allgemeinen, Symptomen eines Herzinfarkts übereinpasst.
Hat also nichts damit zu tun, dass ich Fett bin und dringend was daran ändern sollte, frage ich ihn. Nein, antwortet er mir, aber ich sollte es trotzdem tun.
Die Mandeln, sagt er zum Schluss, die sollte ich mir auch rausnehmen lassen. Die sind zum großen Teil verantwortlich für die Eskalation. Sport ist aber auch wichtig, lässt er sich nicht nehmen noch hinterherzuschieben. Ich darf gehen.
Das Ende einer Reise
Nach dieser Episode bleibe ich noch etwa eine Woche in Bogotá. Ich gebe mein Bestes vernünftig zu Essen, Kraft zu haben und atmen zu können. Es will sich kein Erfolg einstellen. Ich muss raus aus dieser Stadt. Meine Airbnbs sind irgendwie auch alle von Problemen geplagt. Der Pool auf der Dachterrasse sieht schön aus, funktioniert aber nicht. Auch die versprochenen Jacuzzis und Grillplätze sind noch im Bau. Vorher bin ich in einer Unterkunft direkt am Eingang des Theatron. Bis 5 Uhr hämmern die Bässe durchs Bett. Ich habe irgendwie mein Auge für Airbnbs verloren und muss hier weg.
Was auch klar ist, ist dass die kack Mandeln wirklich raus müssen. Sie machen schon eine ganze Zeit Stress und als sie sich kurz nach dem Krankenhaus mal wieder Entzünden, melde ich mich bei meinem HNO in Hannover. Er gibt mir ziemlich unkompliziert einen Termin im Juni. Damit hat die Reise nun ein unvorhergesehenes, aber planbares (vorläufiges) Ende bekommen. Ich mache mir einen Plan, was ich in den nächsten zwei Monaten noch sehen möchte.
Ursprünglich wollte ich einen Monat nach Perú. Doch das Land weigert sich von mir bereist zu werden. Als ich das erste Mal im Dezember hin wollte, brachen Unruhen aus. Straßensperren, Proteste und geschlossene Grenzen waren die Folge. Was war ich froh einmal ein Reise-Fettnäpfchen umgangen zu haben, statt, wie sonst, kopfüber hineinzuspringen! Dieses Mal zieht ein Zyklon über das Land, mit verheerenden Überflutungen, Lawinen und generellem Zusammenbruch des öffentlichen Lebens. Der Notstand wird im gesamten Norden des Landes ausgerufen. Mehrere dutzend Menschen sind schon ums Leben gekommen und der Zyklon soll noch eine ganze Woche Schäden anrichten. Perú ist also mal wieder von der Planung ausgenommen. So bleiben ein paar letzte Orte in Kolumbien, danach Panamá und Mexiko. Von Mexiko-Stadt geht es dann Ende Mai zurück nach Deutschland zur OP.
Bevor ich aber endgültig aus Bogotá gehe, mache ich noch einen Abstecher ins Goldmuseum. Eine Ausstellung prekolumbianischer Goldschätze und Artefakte. Zum Glück gibt es nach jedem Raum eine Bank zum Ausruhen.










Ich fliege dann nach Cali. Dort angekommen kommt, sofort nach dem Ausstieg aus dem Flugzeug, der Hunger wieder. Alle Schmerzen sind augenblicklich verschwunden und ich beginne den nächsten Tag mit einem mehrstündigen Spaziergang durch die Stadt. Erstaunlich was 6% Sauerstoff ausmachen.
Von hier geht es mit einem Minibus nach Popayán. Ich will eigentlich nach San Agustín, um mir dort die berühmteste archäologische Stätte prekolumbianischer Kulturen in Kolumbien anzuschauen. Doch so weit kommt es nicht. Der Bus nach Popayán, angesetzt mit 3 kolumbianischen Autostunden, braucht mal wieder 5 echte Stunden. Ich habe die Schnauze voll von engen Bussen, in denen man eingeengt auf einem Sitzplatz, der zu klein für ein Baby wäre, mehrere Stunden bei 30 Grad ohne Klimaanlage in Staus zu stehen, oder über komplett löchrige Pisten zu poltern. Der Körper hat keinen Bock mehr auf kolumbianisches Reisen. Und als mein Bekannter in Popayán mir erzählt, dass die 34 km nach San Agustín gerne mal 6 oder 8, statt der angegebenen 2,5 Stunden dauern, da streiche ich dieses Ziel.






Ich brauche Kontrast, ich brauche etwas Luxus nach den Widrigkeiten der letzten Monate. Es ist als sei ich aus dem Reiseflow gekommen und ich brauche etwas, dass so ganz anders ist als alles was ich die letzten 5 Monate gemacht habe. Ich brauche All-Inclusive in Panamá.
Ich buche mir einen Flug von Cali nach Panamá-Stadt und das All-Inclusive Hotel an einem Donnerstag, für den kommenden Samstag. Alles ohne Reiserücktritt, alles ohne Umbuchungsmöglichkeit. Wie immer. Was soll auch schon schiefgehen?
Am Freitag morgen gehe ich zum Terminal um in den, ebenfalls gebuchten, Bus nach Cali zu steigen. Am Terminal ist eine gigantische Menge an Menschen zu sehen und als ich es endlich zum Schalter schaffe, sagt mir die Dame dahinter, dass heute keine Busse nach Cali fahren. Es gibt Proteste und die blockieren die einzige Verbindungsstraße. Es ist 10 Uhr morgens und auch wenn mich die Nachricht ernsthaft beunruhigt: Ich bin schon zu lange hier um so schnell in Panik zu verfallen. Also buche ich mir ein paar Sitzplätze für den Abend in verschiedenen Bussen verschiedener Unternehmen, sowie ein Hotelzimmer. Dort lege ich mich schlafen. Um 16 Uhr ist der Spuk dann vorbei. Die Menschenmassen lösen sich in Form kleiner Reisebusse auf und um 17 Uhr fährt mein, diesmal luxuriöser, Reisebus Richtung Cali ab. Ich komme um 22 Uhr statt um 15 Uhr an. Egal.
Am nächsten Tag geht es nach Panamá.