Nachdem ich mich in Panama nicht ganz so wohl gefühlt habe und uninformiert durch Mexikos Yucatán irrte, und mir Belize einfach total egal sein ließ, ist Guatemala ein unerwarteter Juwel auf dieser Reise. Noch vor wenigen Wochen war ich mir zwar irgendwie bewusst, dass es ein Land mit diesem Namen geben muss, hatte aber keine Assoziationen dazu. Innerhalb weniger Wochen macht der Unbekannte meinem bisherigen Favoriten Kolumbien ganz harte Konkurrenz. Meinen kolumbianischen Freunden darf ich das aber nicht erzählen.

Flores
Flores, oder eigentlich La Isla de Flores, ist eine kleine Insel, auf der bis heute die Kolonialbauten der Spanier überlebten. Umgeben ist die Stadt von einem riesigen See auf dem man mit Wassertaxis zu umliegenden Dörfern gebracht wird. In diesem einzigartigen, Gemütlichkeit ausstrahlendem, Setting fühlen sich sowohl Einheimische, wie Touristen wohl.
Als ich in Flores ankomme, sollte eigentlich schon die Regenzeit begonnen haben, die auch hier Winter genannt wird. Eine höhnische Bezeichnung für Nordeuropäer, denn der guatemaltekische Winter bringt die Tages-Durchschnittstemperatur lediglich von 33 auf 30 Grad runter und hat recht wenig mit dem zu tun, was wir als Winter bezeichnen. Dank des Klimawandels aber ist es, ähnlich wie in Panama und Kolumbien, nicht mehr so einfach Regenzeit und Trockenzeit vorherzusagen. Was früher zu festen Zeiten im Jahr begann und endete, hat heute keine Gesetzmäßigkeit mehr. Die Tagesdurchnittstemperatur von 30 Grad wurde während meiner zwei Wochen in Flores jeden Tag morgens zwischen 9 und 10 Uhr geknackt und erhöhte sich an mehreren Tagen bis auf 47° C. Ein Leben ohne Pool oder Klimaanlage, oder großen See vor der Nase, war also unvorstellbar. Zum Glück hatte ich alle drei zur Verfügung.



Schon recht früh nach meiner Ankunft wurde mir berichtet, dass sich an den See um Flores ein weiterer anlehnt. Dort aber sei es zu gefährlich zu schwimmen, denn das sei die Heimat der Krokodile. Mir werden Videos gezeigt und ich bin ziemlich sicher, dass ich wirklich nicht in einem See schwimmen will, in dem sich Krokodile befinden. Es sollte bis zu meinem vorletzten Tag dauern, bis das Missverständnis aufgeklärt wird, dass es sich um einen benachbarten See handeln würde. Nein, sagte mir der Barkeeper in meinem Hotel, das ist der gleiche See. Aber keine Sorge die Krokodile kommen schon nicht hier her, sagte er und wusch weiter das Glas ab, das er in seiner Hand hatte.






So verrückt es auch klingt, ein wenig kann man sich an diese Hitze gewöhnen. Auch wenn ich mich immer noch Frage, wie die Guatemalteken es schaffen bei diesem Wetter in langen Hosen unterwegs zu sein und körperlich zu arbeiten. Irgendwann aber schwitzt man einfach weniger und selbst in der Hochphase der Hitze stellt sich wieder so etwas wie Hunger ein. Wenn es sich dann Nachts auf 23-25°C abkühlt und ein leichter Wind geht, kann einem schon kalt werden und ich habe mich mehrfach erwischt, wie ich mir fast einen Pullover „wegen der Kälte“ übergezogen hätte. Als ich dann zwei Mal das Glück hatte aus der Touristen-Enklave der Isla ins „echte“ Flores auf einem Motorrad mitgenommen zu werden und der Fahrtwind mir Nachts um die schnittigen Flip-Flops und in die Shorts rein wehte, da fröstelte mir sogar und ich musste mich schütteln.






Ein Mal hatte ich mich ein wenig verlaufen, was zugegebenermaßen etwas Dumm klingt und war, da die Isla de Flores nur eine einzige Brücke zur Stadt „Flores“ besitzt und ziemlich klar ist, dass mit überqueren der Brücke der touristische Teil der Stadt schlagartig aufhört. Ich hatte aber unseren Treffpunkt missverstanden und lief Schnur-Stracks über die Brücke, eine dunkle Straße entlang, bis ich zwei Hotel Securities mit Shotgun in der Hand sah. Ich fragte sie ob es hier wohl sicher sei in dieser Straße. Er schaute von seiner Shotgun zu seinem Kollegen und zu mir und antwortete „Nein, du solltest lieber sofort umdrehen und zurück zur Insel.“. Wenn dort sicherlich auch ein wenig Übertreibung im Spiel war, gab ich dem Mann mit der monströsen Waffe in der Hand aber recht und wollte mich gerade umdrehen, als auch schon meine Verabredung auf seinem Moto vor mir steht und mich fragend anschaut was ich hier wohl tun würde. Schnell hüpfte ich auf das Moto und ohne Helm, ohne Schutzkleidung und mit stylischen Flip Flops ging es durch den Wind der Nacht zurück über die Brücke zur Insel. Einen Helm, so wurde ich aufgeklärt, den braucht man nämlich in Guatemala bei Stadtfahrten nicht, nur wenn man in andere Städte fährt. Weiß doch jeder, das Unfälle nur außerhalb der Stadt geschehen.
Perrear
Obwohl nicht unbedingt ein Fan von Diskotheken, bzw. Clubs, wie ich es nennen soll um Jung und Hip zu erscheinen, werde ich zwei Mal einfach mitgeschleppt. Einmal äußerst widerwillig und mit Meckern und einmal durchaus mit Vorfreude.
Eine Diskothek in Latinoamerica ist ein ganzheitlich anderes Erlebnis als in Deutschland. Es gibt das Vorurteil, dass alle Latinos gut tanzen könnten, und natürlich bedingt das eine nicht das andere. Andererseits unterteilen alle meine Latinofreunde in Deutschland, auf ihre Tanzfähigkeiten angesprochen in „für deutsche Verhältnisse“ und „für Latino-Verhältnisse“, zum Beispiel: „Also für Latinoverhältnisse schlecht, aber für deutsche Verhältnisse gut.“. Nun war ich in Flores mit jemandem unterwegs, der von sich behauptete sehr gut tanzen zu können und seine Freunde, die sagten das von sich und ihm auch. So wurden die Tages-Schlappen gegen Party-Crocs getauscht und es ging los zum Tanzen.
Ich berichtete schon mal über die ganz hervorragende Kreativität der spanischen Sprache aus Nomen Verben lassen zu werden, die auf -ear enden. Aus der Katze „gato“ wird durch die Gegend schleichen „gatear“ usw. Nicht immer ist die Beziehung dabei so direkt wie bei der Katze, wie auch das Beispiel culear zeigt, deren Bedeutung und Ursprung scheinbar jeder heimlich für sich herausgefunden, hat ohne seine Recherche mit mir zu teilen.
Eine weitere, hervorragende, Wortkreation ist „perrear“ und beschreibt die Art Tanz, die ich, ganz naiver Weise, zunächst als „Porno“ bezeichnete und hier zu sehen ist:
Das Wort „Perrear“ kommt vom Hund, dem „Perro“. Diese Verbindung alleine macht aber überhaupt keinen Sinn, wenn man nicht weiß, dass „Como Perro“, eine Stellung beim Sex bezeichnet, bei der ein Partner auf allen Vieren „Wie ein Hund“ ist; beziehungsweise ganz einfach Hundesex beschreibt. Das Verb „perrear“ bezeichnet nun also den Akt des obigen Tanzes, dem „Perreo“ und man braucht keine enorm große Vorstellungskraft wie es zu diesem Namen gekommen ist.
So getanzt zu bekommen ist schon eine ganz ganz andere Cluberfahrung und „jemanden antanzen“ in Lateinamerika eine ganz andere Hausnummer. Das war in Kolumbien so, in Argentinien ebenfalls, Spoiler: in Mexiko wird es auch so werden, und hier in Flores in einer Disko, ohne nennenswerte Kühlung, bei 40 Grad Außentemperatur, viel verschwitzter, warmer und tanzwütiger Haut, auch eine Erfahrung wert.
Sicheres Fahren
An meinem letzten Abend fuhren wir, mal wieder auf dem Moto, zu einer Veranstaltung, ähnlich eines Frühlingsfests, nach Flores rein. Für so manchen Guatemalteken gehören Ausländer absolut nicht zum gewohnten Bild und so kann es vorkommen, dass man, vor Allem von Kindern, aber auch von Erwachsenen mit offenen Mündern voller Verwunderung angestarrt wird. Da sich eigentlich kein Tourist in diese Tiefen der Stadt verirrte, war ich für einige Einheimische, neben den bunten und lauten Fahrgeschäften also Teil der Attraktion dieses Abends.
Zurück auf dem Moto, abermals Helm- und Schutzkleidungslos, fahren wir durch den Stadtverkehr, als ich meinen Fahrer fragte, wie viel man in Guatemala für einen Motorradführerschein bezahlen muss. „Weiß ich nicht“, antwortet er mir, „Ich habe keinen Führerschein“. „In der Stadt wird man nicht kontrolliert, da braucht man das nicht“ schob er erklärend hinterher. Auch wenn etwas überrascht, besorgte mich die Aussage nicht sonderlich. Nach nunmehr fast 7 Monaten Reisen ohne Anschnallgurt, in verschiedensten Fahrzeugen, von denen nicht immer klar war, wie genau sie es schafften nicht auseinander zu fallen, war die durchaus sichere und ruhige Fahrweise genug, um einfach den Wind um den Ohren zu genießen, statt sich über so Kleinigkeiten wie Führerscheine Gedanken zu machen.
Ich wurde sicher und unfalllos vor meinem Hotel abgesetzt. Wir verabschiedeten uns nach zwei Wochen zum letzten Mal und am nächsten Morgen ging es, statt mit dem Moto, in einem Bus mit kaputter Klimaanlage bei 35 Grad nach Rio Dulce. Die kaputte Klimaanlage wird zum Running Gag hier, da die Firmen ihre Shuttle stets als mit Klimaanlage bewerben und sich dann stets bei Fahrtantritt herausstellt, das just heute genau dieses Feature nicht funktioniert. Aber man habe ja Fenster, die man aufmachen könnte.
Rio Dulce
In Rio Dulce ist es nicht ganz so heiß wie in Flores und bei einem Tagesausflug per Boot nach Livingston fängt es sogar an zu regnen. Auf dem Tagesausflug lerne ich einen Malaysier kennen, mit dem ich den Tag dort verbringe. Wir haben uns beide nicht informiert was es hier genau zu sehen oder tun gibt. Und so steigen wir in ein Tuk-Tuk und lassen uns eine Tour geben. Als wir nach Essen suchen, dreht er sich zu mir und fragt mich „Wo ich dich jetzt so kenne… Was ist los mit den Weißen, dass sie irgendwann einfach ihre Arbeit hinschmeißen und auf Reisen gehen? Warum macht ihr das?“








Eine gute Frage über die wir bei gutem Street-Food etwas philosophieren. Ich erzähle ihm, dass es mir darum geht andere Kulturen kennenzulernen. Zu sehen wie die Menschen auf der Welt so leben und ihren Tag gestalten und ich mich deshalb immer freue Leute kennenzulernen. Es aber andere gibt, die nur die Landschaften interessant finden und nichts mit den Einheimischen zu tun haben wollen. Er erzählt mir, dass er sich mit seinen Kumpels in Malaysien die Touristen anschaut und schon immer mal fragen wollte warum sie eigentlich vorbei kommen und sich deshalb freut endlich eine Antwort darauf bekommen zu haben. Er wolle auch überlegen mal länger zu verreisen erzählt er mir. Er ist wegen der Arbeit für 3 Monate nach Guatemala gekommen und ein bisschen Lust hat er nun auch sich neue Orte auf der Welt anzuschauen.
Antigua
Antigua ist die alte Hauptstadt Guatemalas, die aber 1773 nach mehreren Erdbeben und Vulkanausbrüchen verlassen wurde, um die neue Hauptstadt Guatemala-Stadt ein paar Kilometer weiter im Landesinneren zu gründen. Antigua liegt am Fuße dreier Vulkane, wobei zwei davon aktiv sind und einer, Fuego, in der Woche vor meiner Ankunft anfing Feuer zu spucken. Mitte des 19 Jahrhunderts kehrten die Menschen dann in die verlassene Stadt zurück und als dann die ersten Archäologen kamen und sich Antigua als historisch interessant herausstellte, fror man es einfach ein.
In Antigua laufe ich in der ersten Nacht Sergej über den Weg, mit dem ich gemeinsam in Guatemala angekommen bin. Ich hatte ihn schon gar nicht mehr auf dem Schirm, allerdings musste er leider am nächsten Morgen seinen Flug nehmen, sodass keine Zeit blieb sich kurz zu updaten. In Deutschland vielleicht. In der gleichen Nacht treffe ich einen Guatemalteken, dessen Namen ich bis zum letzten Tag nicht herausfinden sollte. Da es irgendwann etwas komisch wurde danach zu fragen, weil schon so viel Zeit vergangen war, ließ ich es einfach sein. Er zeigte mir seine Lieblingsbar und wo man am besten Karaoke singt. Wir gehen gemeinsam ins Museum und philosophieren über Christentum und wie es hiesige Kulturen zerstört hat. Was wohl geschehen wäre, wenn die Spanier nicht auf Raubzug gegangen wären, sondern ein friedlicher Austausch stattgefunden hätte. Das alles in einer Stadt, die in der Zeit stehen geblieben ist. Auch hier ist die Regensaison überfällig, doch auch hier bleibt es wegen des Klimawandels trocken und angenehm warm.







Es ist meine letzte Station in Guatemala und ich weiß jetzt schon, dass ich wiederkommen werde. In nur 4 Wochen hier, macht es sogar meinem bisherigen Favoriten Kolumbien Konkurrenz. Die Natur ist überwältigend, das Wetter hervorragend und die Leute einfach freundlich und willkommen heißend. Auf der Straße, aus den Häusern und manchmal sogar vom Motorrad oder Auto heraus wird man gegrüßt. Es wird einem ein schöner Tag gewünscht und es herrscht einfach eine allgemeine Freundlichkeit, die ich sonst nur in Kolumbien gesehen habe. Während einem Straßenverkäufer in Kolumbien mehrere hundert Meter hinterherlaufen und volllabern, reicht hier meist ein einfaches nein um seine Ruhe zu haben. Der Verkehr ist nicht ganz so Chaotisch und alles läuft ein bisschen leiser und unaufgeregter ab, ohne aber den Charme des Chaotischen komplett zu verlieren.
An meinem vorletzten Tag hier kommt Heike, meine Mitreisende aus Belize, vom nahegelegenen See Atitlán nach Antigua. Wir wollen noch ein bisschen Zeit miteinander verbringen, bevor sie sich weiter auf den Weg nach Südamerika macht und ich die Rückreise nach Mexiko und Europa antrete. Nachdem ich mich von allen gehörig verabschiedet habe, geht es nach Guatemala-Stadt zum Flughafen und auf zur letzten Station der Reise: Mexiko-Stadt.