Diesen super originellen Spruch durfte ich mir diesen Sommer bis zum Erbrechen und weit darüber hinaus von nahezu jedem anhören, der mal von Ché Guevaras Motorradreise hörte und dem ich erzählte, mir in Kolumbien ein Motorrad kaufen zu wollen um damit durch Südamerika zu reisen.
Abgesehen davon, dass ich keine Massengräber verursacht habe und, meines Wissens nach, bis dato auch keine Karibikinsel in eine Diktatur verwandelt habe, ist es schon so, dass Ché Guevara tatsächlich in seinen vorrevolutionären Zeiten mit dem Motorrad quer durch Südamerika gereist ist. Dazu gibt es Film und Buch und abgesehen davon, dass dies seitdem tausende von Menschen ebenfalls getan haben, und er von Argentinien nach oben, ich aber von Kolumbien nach unten fahre und dann als einziger einender Faktor das Fortbewegungsmittel bleibt: Ja, quasi wie Ché. Nur anders herum.
Hannover
Nachdem im Sommer dann endlich die Mandeln verheilt sind und der Körper wieder belastet werden darf, geht es daran den Motorradführerschein zu machen. Das ist in Deutschland wesentlich teurer als, zum Beispiel, in Kolumbien. Dafür stellen die einzelnen Versicherer im Falle eines Falles aber hoffentlich auch keine unangenehmen Fragen, wie es denn mit dem Führerschein aussieht.
Für ein bisschen Fahrpraxis habe ich mir eine Übungsmaschine gekauft. Auf ihr ging es die letzten Sommertage rund um Hannover alle Landstraßen auf und ab um so viel Fahrpraxis zu sammeln wie möglich. Der Verkehr in Kolumbien ist ganz anders als in Deutschland und ich wollte mich in der kurzen Zeit bestmöglich darauf vorbereiten von Links und Rechts überholt zu werden, Ampeln nicht vertrauen zu können und in riskanten Überholmanövern vor uneinsichtigen Kurven oder entgegenkommendem Verkehr gewappnet zu sein.

Bogotá
Kolumbien ist eines von zwei Ländern in Lateinamerika, in denen man ein Fahrzeug besitzen und anmelden darf, ohne ein Visum und permanenten Wohnsitz zu haben. Das andere Land ist Guatemala, was mir ebenfalls sehr gefallen hat. Dort ist der Verkehr auch nicht so wahnsinnig, wie in Kolumbien. Doch zum Einen ist es im Detail in Guatemala nur obskur legal und und zum Anderen ist Guatemala umgeben von vielen Ländern, die mich nicht wirklich interessieren. Und obendrein muss beim Übersetzen nach Kolumbien der See- oder Luftweg genommen werden, da es keine Straße gibt, die die beiden Länder verbindet. Das ist teuer und umständlich und so ist es letztendlich Kolumbien geworden. Den verrückten Verkehr hier in kauf nehmend, überwiegen die anderen Vorteile einfach.
In Kolumbien muss man sich in das nationale Verkehrsregister, RUNT, eintragen lassen um ein Verkehrsmittel besitzen zu dürfen. Das Eintragen muss persönlich geschehen und ging erstaunlich einfach über einen Termin und nicht wesentlich mehr Wartezeit als das auf unseren Ämtern so üblich ist. Einmal dort eingetragen kann es losgehen mit dem Motorradkauf.
Nach ausgiebiger Recherche habe ich mich für eine Royal Enfield Scram 411 entschieden. Nicht zuletzt, weil es eines von zwei in Frage kommenden Motorräder war, die es sowohl in Kolumbien, als auch in Deutschland zu kaufen gibt. Da in Südamerika eher 125-200 ccm gefahren wird, in Europa aber eher höher motorisierte Motorräder beliebt sind, sind die Märkte in Europa und Südamerika ganz andere.
Allerdings ist die Scram alles andere als eine Notlösung. Sie gefällt mir sehr gut und ich kann super auf ihr fahren. Die in Deutschland belächelten 24 PS sind doppelt so viel PS wie 80% aller Motorräder die in Kolumbien fahren. Zum Vergleich: Meinen Führerschien habe ich auf einer Maschine mit 74 PS gemacht.

Und weil das schicke Teil erstmal gebaut werden muss, dauert es ab dem Kauf noch 15 kolumbianische Tage bis ich es in den Händen habe. Das übersetzt sich in 18 europäische Tage, ist also im Rahmen des Aushaltbaren. Ich war trotzdem ziemlich genervt über die Verspätung. So blieb nur die Zeit in Bogotá zu genießen und alte und neue Freunde zu treffen.
Gib kein Gas, sonst schießen sie wahrscheinlich
Mit der neuen Freiheit kommt auch neue Verantwortung. Auch wenn Kolumbien weit entfernt ist, von dem was hier in den 90ern/2000ern passiert ist, bleibt es trotzdem ein partiell gefährliches Land. Es gibt Ecken, in die man sich nicht begeben sollte. Weil der Bürgerkrieg dort nie richtig aufgehört hat, oder die Drogen-Exportlinien dort verlaufen. Wo genau diese Orte sind ist kein großes Geheimnis. Aber um auf Nummer sicher zu gehen, lasse ich meine erdachte Route von Ana’s Vater gegenchecken. Er ist Pilot bei der kolumbianischen Luftwaffe und tatsächlich streicht er mir einige Routen durch und runzelt die Stirn bei anderen. Das hat hauptsächlich mit den Exportrouten zu tun, auf die sich meine ursprüngliche Route kurzzeitig verlaufen hat. Gemeinsam gehen wir alles noch einmal bei gutem Essen durch und schließlich bekomme ich seinen Segen. Allerdings, so sind sich die beiden Eheleute sicher, solle ich mich vor jeder Abfahrt und nach jeder Ankunft melden. Falls was passiert. damit sie bescheid wissen. Ana lieh mir ihre Familie immer mal wieder mal während ich hier war, und nun bin ich verankert.
Ganz zum Schluss frage ich noch, was ich eigentlich machen soll, falls ich doch Paramilitares oder Guerilla über den Weg laufen sollte. Das sind die beiden Gruppen, die in Regionen Kolumbiens das Sagen haben, in den der Staat nicht präsent genug ist um Macht auszuüben. Ein Schweigen folgt. „Sebastian, das kann ich dir nicht sagen…“. „Gib auf keinen Fall Gas und versuch zu entkommen, sonst schießen sie wahrscheinlich.“. „Allerdings“, fuhr er fort, „das ist schon lange nicht mehr vorgekommen, dass die Straßen blockieren. Eher versucht dich jemand auszurauben.“
Da die Route aber ja nun auch speziell um gefährdete Regionen gelegt wurde und, wie gesagt, es hier eigentlich auch irgendwie sicher ist, mache ich mir auch keine großen Sorgen in derlei Begegnungen zu geraten. Trotzdem ist es besser zu wissen wie man sich verhalten sollte. Man weiß ja nie was kommt.
Die Strecke

Die Route der nächsten Monate sieht nun wie folgt aus: In Bogotá geht es los, früh morgens um dem Verkehr zuvor zu kommen. Von dort geht es über Villa de Leyva und San Gil nach Bucaramanga. Die Zwischenstopps sind so gewählt, dass sie nach ca. 4 Stunden Google-Fahrtzeit erreichbar sind. Da ich lange Strecken noch nicht gewohnt bin und Strecken hier in Kolumbien allgemein wesentlich langsamer überbrückt werden können, als, sagen wir, auf der Autobahn, soll die Zeit als Maßstab dienen. Die jeweils ca. 3,5-4,5 Stunden Fahrtzeit übersetzen sich in etwa auf 150-190 km Weg.
Doch sind Villa de Leyva und San Gil nicht einfach so gewählt, es sind auch beliebte touristische Orte, an denen ich vorher noch nicht war und dies nun nachholen kann.
Das Motorrad muss nach 500 km in die erste Inspektion und genau in dieser Entfernung liegt ganz passend Bucaramanga.
Von dort geht es in den karibischen Teil über nach Agua Chica, entlang dem Fluss Magdalena nach Mompox und von dort über nicht weiter definierten Zwischenschritte nach weiter Richtung Cartagena. Wie schon im letzten Jahr wird Weihnachten in der Karibik verbracht. Im Januar geht es dann über Santa Marta in den Nationalpark Tayrona und von dort weiter an den trockensten Ort Kolumbiens: Riohacha. Dort dann eine Kurve gemacht und über Valledupar zurück nach Bucaramanga mit dem Ziel Ende Januar wieder in Bogotá zu sein. Im Februar wartet ein Flugzeug nach Guatemala auf mich für eine kleine Kolumbien-Pause. Stefan kommt wieder vorbei und wir werden dieses Mal Guatemala erkunden.
Alles in Allem werden die ersten zwei Monate ca. 2600 km (direkte) Strecke beinhalten.
Ein Motorrad anmelden
Das Motorrad kam tatsächlich nach 15 Tagen an. Jedoch muss auch in Kolumbien jedes Fahrzeit mit einer Grundversicherung ausgestattet sein, der SOAT. Diese kann man jedoch erst erstehen, wenn für das neue Fahrzeug ein vorläufiges Kennzeichen angemeldet wurde. Um das zu tun sind die Fahrzeugdaten notwendig, also Seriennummern auf Motor und Fahrgestell. Mit diesen Daten und dem vorläufigen Kennzeichen geht man dann zu einer Versicherung, die SOAT verkauft und registriert das Fahrzeug dort. Nach Bezahlung dauert es noch bis zum nächsten Tag, bis die Informationen ins RUNT geladen sind und erst dann kann das Fahrzeug auch wirklich angemeldet werden, Kennzeichen gedruckt und mit dem Fahrspaß begonnen werden.
Nun ergab es sich so, dass dieser 15. Tag dummerweise auf einen Samstag fiel und Samstag, da sind die Versicherungen geschlossen. Maribel, die Dame aus dem Motorradladen, suchte mir dennoch Versicherungen raus, die auch am Samstag, zumindest bis 13 Uhr geöffnet sind. Sie gab sich extra Mühe die Voranmeldung schnell zu erledigen und um 11 Uhr hatte ich alle Papiere in der Hand und saß im Taxi zu der von ihr vorgeschlagenen Versicherung. Natürlich kamen wir in einen Stau. Natürlich dauerte der 500 Jahre und so kam ich natürlich erst um 12:55, fünf Minuten vor Schließung dort an. SOAT, so sagte mir die einzige noch im Laden befindliche Verkaufsperson, das wird um diese Uhrzeit an einem Samstag nicht mehr verkauft. Aber ich könne Montag wiederkommen.
Enttäuscht, dass es nicht geklappt hat, rief ich mir ein Uber zurück zur Filiale um dort noch die bevorstehende Anmeldung zu zahlen. Mein Uber-Fahrer hatte wohl auch keinen Bock mehr und hatte sich ein Handy in seine Konsole vor den Tachometer gestellt, auf dem er sich lautstark irgendeine gestreamte Serie reinzog, während er mich, durch den sich lichtenden Verkehr, fuhr. Wie gesagt: Verkehr funktioniert hier anders.
Am Montag dann aber sollte es so weit sein. Ich hatte zuvor im Internet gelesen, dass man besonders früh zu der Versicherung bei mir um die Ecke kommen sollte, weil die Bearbeitung ewig dauert und immer nur 2 oder 3 Leute in die Filiale dürfen. Um 7:30 Uhr wollten sie öffnen, also war ich um 7:00 Uhr dort und tatsächlich nicht der Erste, aber immerhin dritter in der immer länger werdenden Schlange. Um 8:00 Uhr öffnete die Filiale dann und tatsächlich wurden nur wir drei hineingelassen. Ein Mann, der irgendwie Rezeptionist war und scheinbar die Telefonanlage zu bedienen hatte und sich auch um die Belange der Angestellten zu kümmern hatte, war auch ganz alleine für die Abarbeitung der mittlerweile beachtlich langen Schlange zuständig. Kein Wunder, das alles Ewigkeiten dauert. Als ich dran war, telefonierte er nebenbei und kopierte auch etwas für einen Kollegen. Meine Anmeldung ging also ohne große Kommunikation über die Bühne. Barzahlung ist abgeschafft worden, daher stehe ich am Ende dieses Prozesses mit einer Mail da, in der ein Barcode ist, der meine Barzahlung bei einer bestimmten Bank regelt. Diese Mail muss ich nun beim Copy Shop, einer Papelería, ausdrucken, um dann mit dem Ausdruck zu dieser einen bestimmten Bank zu gehen, dort bis 9:00 Uhr zu warten bis die Bank öffnet, wieder Schlange stehen, den Code scannen lassen, das Geld bezahlen und hoffen das alles gut gegangen ist. Ist es dann auch. Nahezu simultan mit der Einzahlung bekomme ich eine SMS, wie auch Mail, das meine SOAT ab dem nächsten Tag aktiv ist.
Wer jetzt verlockt ist sich allzu sehr über diese Prozesse lustig zu machen, dem sei gesagt, dass man in Deutschland derzeit um einen Führerschein zu machen 1,5 Monate auf einen Termin warten muss, bei dem von einem Stadtangestellten diejenigen Dokumente eingescannt werden, die man zuvor ausdrucken und händisch ausfüllen musste…
Am Dienstag ist es dann soweit und ich kann mein frisch hergestelltes, versichertes, und mit Kennzeichen bestücktes Motorrad abholen.
Das was in Deutschland die Fahrzeugpapiere sind, ist in Kolumbien eine kreditkartengroße Besitzkarte. Führt man sie nicht bei sich, kann die Polizei einem das Fahrzeug einfach abnehmen, bis man sie vorzeigen kann.

Da sich das Aushändigen etwas verzögert, ist meine erste Fahrt natürlich perfekt genau zur Rush Hour in Bogotá. Hier ist Filtern erlaubt. Man darf also zwischen (stehenden) Autos entlang fahren und sich so an die Spitze der Wartenden stellen und kommt natürlich viel, viel schneller voran als wenn man wie ein Auto in der Schlange wartet. Doch, so denke ich mir, es ist ein neues Motorrad, das ich noch nicht gut kenne. Es ist ein Verkehr den ich nicht kenne. Und es ist eine Fahrweise, die ich nicht kenne, da in Deutschland verboten. Also lasse ich es lieber sein, denke ich mir. Ich habe ja auch alle Zeit der Welt. Naja, die eine Lücke da sieht groß genug aus, also durch da. Aber nicht nochmal, denke ich mir. Lieber erstmal das Motorrad kennenlernen. Allerdings ist die nächste Lücke auch irgendwie groß genug. Und so finde ich mich zwischen Autos manövrierend im Strom der anderen Motorradfahrer wieder und gewöhne mir zögerlich an, mir die deutschen Fahrregeln abzugewöhnen.
Zwei Tage später wird es losgehen, fort aus Bogotá, in Richtung Karibik, in einem fremden Verkehr mit fremden Regeln. Eben wie Ché, nur anders herum – Und hoffentlich am Ende mit weniger Blut an den Händen.
















