Bogotá

Früh am Morgen soll es aus Bogotá losgehen, um den berüchtigten, schlechten Verkehr von Bogotá zu vermeiden. Daraus wird natürlich nichts und schon bald stecke ich im Chaos der Autos fest. Der Vorsatz nicht zu filtern, also zwischen zwei Spuren an Autos vorbei zu fahren, ist innerhalb von Minuten über Board geworfen und wahrscheinlich auch der einzige Grund, wegen dem ich es überhaupt aus dieser Stadt geschafft habe.
Zunächst vorsichtig zwischen im Stau stehenden, Autos vorbeifahrend, geht es alsbald auch zwischen sich langsam bewegenden Autos und LKW hindurch. Das geht erstaunlich gut, und das, obwohl das Motorrad mit mir und Gepäck beladen ist. Von Anfang an habe ich das Gefühl einer Kontrolle über das Motorrad, wie ich es bisher, mit zugegebenermaßen recht kleiner Erfahrung, nicht kannte. Nach etwa 2 Stunden im Stau navigieren ist meine Zuversicht gestiegen und im Verlauf der Reise werde ich keine Skrupel mehr haben links, rechts, oder zwischen Autos vorbei zu fahren. Die Manöver werden wesentlich gewagter als an diesem ersten Tag, aber so ist das wenn man neue Dinge lernt.
Verkehr in Kolumbien
Als nächstes geht es auf die Autopista. Hier ist die maximal erlaubte Geschwindigkeit 100 km\h und das wird hier genauso konsequent ignoriert, wie eigentlich überall. Mit 100 durch die 30er Zone und trotzdem überholt werden? In Kolumbien passiert das mehrfach täglich. Gerne auch mal von der Polizei. Allgemein gesprochen allerdings gelten mehr oder weniger die gleichen Regeln wie in Deutschland. Ausnahmen mögen natürlich im Detail existieren.
Nur an der Einhaltung eben jener gibt es ganz arge Unterschiede. Es wird links oder rechts überholt und Blinker sind in jedem Fall Optional. Nur weil sie gesetzt sind, heisst das nicht, dass man abbiegen will, und nur weil man abbiegen will, muss man die Blinker doch nicht setzen. Setzt man sie dennoch für einen Abbiegevorgang nach links, so ist nicht ausgeschlossen auch einfach nach rechts abzubiegen, oder ggf. auch einfach erstmal auf der Straße stehen zu bleiben um sich einen Überblick zu verschaffen.
Zwar hat man sich prinzipiell geeinigt auf der rechten Seite zu fahren, trotzdem kann es immer mal vorkommen, dass einem jemand auf dieser Spur entgegen kommt. Z.B. wenn es aufgrund der Streckenführung kürzer ist einfach in die entgegengesetzte Richtung zu fahren. Oder wenn die eigene Spur belegt ist. Oder weil man illegalerweise links abbiegen will, das aber von der eigenen Spur nicht geht. Dann einfach die paar 100 m als Geisterfahrer und gut ist. Ist man zu weit gefahren, gerne auch auf der Autobahn einfach ruckartig anhalten, Rückwärtsgang rein und langsam bis zur Ausfahrt zurück. Da der Standstreifen zumeist von langsameren, oder überholenden Motorrädern genutzt wird, muss auf der regulären Spur rückwärts gefahren werden. Wer gerade mehr Lust hat auf dem Handy zu spielen oder Texte zu schreiben, der kann das problemlos machen. Dann fährt man halt sicherheitshalber nur mit 20 über die Autobahn. Und nur weil man Überholen will, muss man ja nicht so viel Gas geben, dass der Überholvorgang nicht über 10 km gestreckt werden kann. Ich habe sogar Überholende gesehen, die, während sie über Kilometer auf gleicher Höhe mit dem zu Überholenden fuhren, nebenbei mit dem Handy beschäftigt waren. Das alles sind tägliche Begebenheiten auf der Autopista, auf deren Separationsstreifen der beiden Richtungen, gerne mal Kühe grasen, die manchmal auch einfach nicht angebunden sind und in den Verkehr laufen können. Am Straßenrand suchen die Hühner der Bewohner sich essen und verirren sich ebenfalls gelegentlich mal auf die Straße.
Wer nun denkt: „Ach, Sebastian, das gibt es doch hier in meiner wilden, hippen, tollen Stadt auch“: Nein! Deutscher Verkehr hat nichts mit kolumbianischen Verkehr gemein, außer, dass Fahrzeuge auf Wegen fahren.
In den Städten und Dörfern ist eh irgendwie fast alles egal. Jeder fährt wie er möchte und wo er möchte. Prinzipiell rechts, wenn es geht, und wenn nicht, dann links oder über den Fußgängerweg (links oder rechts).
Das hört sich erstmal alles sehr gefährlich an und die Verkehrsstatistik unterstützt auf den ersten Blick diese These, da Kolumbien etwa doppelt so viele Verkehrstote aufweist als Deutschland.
Aaaaaaber…
Alles geht hier langsamer voran, weil man immer damit rechnen muss, dass irgendjemand irgendwas wirklich, wirklich dummes macht. Schäden am Auto sind teuer und müssen, weil das Geld knapp ist, vermieden werden. Deshalb muss man sich wesentlich mehr auf die Teilnehmer konzentrieren und zumindest in den Städten, die Geschwindigkeit enorm reduzieren. Und weil hier jeder ganz liberal seine eigenen Regeln macht, hält auch niemand mit 50 auf die spielenden Kinder zu, um dann zu sagen: „Ja, selbst schuld, was sind die auch auf MEINER Straße“. Dieses Konzept gibt es hier nicht.
Und das macht den Verkehr hier seltsam sicher. Jeder passt irgendwie auf jeden auf und vieles wird vorhergehesen. Alles ist langsamer und irgendwie ist man hier auf eine seltsame Art und Weise behüteter als Verkehrsteilnehmer. Dieses Gefühl habe nicht nur ich. Ich habe zwischendurch andere Motorradreisende kennengelernt, die auch wie Ché, nur andersherum, hier unterwegs sind. Sie alle haben gesagt, dass dieser Verkehr absolut verrückt ist, definitiv nicht wünschenswert ist, aber sich irgendwie auch sicherer anfühlt. Dabei spielt auch definitiv eine Rolle, dass mehr Motorräder als Autos auf Kolumbiens Straßen unterwegs sind und Autos, wie auch LKW, ein ganz anderes Bewußtsein für Motorräder haben, als das in Europa der Fall ist. Es wird immer etwas Platz gelassen zum Filtern und Überholen und es stellt sich niemand absichtlich in diesen Lücken, damit die Motorräder „sich bloß nicht vordrängeln!!!!!“. Das passiert hier aus Inkompetenz und Unachtsamkeit, aber nicht aus der Bosheit heraus, damit den anderen auch bloß eine Lektion erteilt wird!
Arbeiten und Reisen
Da die Straßen hier wegen etwaiger Kühe/Hühner oder Schlaglöchern, die gesamte Autoreifen verschlingen würden, nicht wesentlich schneller als mit 120 befahren werden könnten, habe ich für die etwa 1.000 km von Bogotá in die Karibik, vier Fahrtage eingeplant. Mit eingeplant war natürlich auch, dass der Motor noch eingefahren werden muss und daher nicht so schnell fahren darf. Maximal 60 km/h auf den ersten 500 km, dann immerhin 80 km/h bis 2.000 km. Und auch, dass ich noch ganz neu auf dem Motorrad und in diesem Verkehr bin und mich auch erstmal eingewöhnen musste.

Da ich aber auch Vollzeit arbeite und mir mehrfach von mehreren Leuten dringend davon abgeraten wurde nach Sonnenuntergang noch unterwegs zu sein, wurden aus der Anreise 9 Tage. Mit längerem Aufenthalt in Bucaramanga, um dort das Motorrad in die erste Inspektion zu geben und der Arbeit nachzugehen. Dementsprechend blieben in den anderen Orten auch immer nur der Nachmittag nach der Ankunft. Irgendwie ist dieses gehetzte Reisen nicht geeignet um Dinge zu erleben. Daher gibt es, außer ein paar Bildern, von den Orten der Anreise nichts zu berichten.
San Gil
Bucaramanga
El Banco
Tolú
Cartagena
Wie auch schon im letzten Jahr geht es über Weihnachten nach Cartagena. Yesid, der im kalten Bogotá wohnt und den ich schon vor einiger Zeit kennengelernt habe, war noch nie dort und so kommt er über die Weihnachtstage vorbei. Gemeinsam ignorieren wir Weihnachten in der Hitze und lernen Yannik und Digby kennen. Zu viert geht es von Rooftop zu Rooftop, wo wir am Weihnachtsabend den Grinch tanzen sehen.
Auf der Isla del Rosario kommt es dann irgendwie dazu, dass wir uns in eine der Touristenfallen begeben. Unbedacht setzten wir uns in eine der Strandbars. Die Karte lassen wir uns nur so halb zeigen und bestellen fleißig Bier um Bier. Als uns der Besitzer noch anbietet uns ein Boot zurück nach Cartagena zu organisieren, damit wir länger bleiben können, flammt noch kurz in meinem Kopf auf, dass wir uns hier zu sehr in die Abhängigkeit dieses Menschen begeben. Doch letztendlich haben ja alle zugestimmt, also egal.
Sehr geschickt wartet der Besitzer dann auch bis das Boot angelegt hat. Es sei das letzte Boot dieses Abends versicherte er uns mehrfach und gab uns im letzten Moment erst die Rechnung, die dann schlappe 1 Millionen Pesos Betrug ~230 Euro. Davon 380.000 Pesos (88 Euro) als „freiwilliges“ Trinkgeld. Üblich sind in Kolumbien 10%, nicht die etwa 40%, die er sich dort großzügig selbst geben wollte. Selbstverständlich noch nicht inklusive Bootsreise zurück. Und wenn wir mit Karte zahlen wollen, nochmal 10% drauf für die Gebühren. Immer wieder wies er uns darauf hin, dass wir nun schnell bezahlen sollten, da das Boot ja bald schon ablegen würde. Immerhin das letzte.
Ein Bier sollte dabei 7 Euro kosten, was im Vergleich zu anderen Läden auf der Insel schon sehr teuer war, die dafür 2 Euro wollten. Im Vergleich zum bereits teuren Straßenverkäufer in Cartagena, der ca. 1 Euro nimmt, war das dann wirklich lächerlich.
Dem mentalen Druck des letzten Bootes des Abends standhalten, fing Yesid an zu Verhandeln, mit der Polizei zu drohen und und und. Wir, die Cash-Cow Ausländer, hielten uns gepflegt zurück. Letztendlich zahlten wir dann nicht mal mehr die Hälfte davon und verärgerten den Besitzer endgültig, als wir ihm auch auf Nachfrage komischerweise kein Trinkgeld geben wollten.
Das Geld, das wir gespart hatten, gaben wir dann gleich für ein Boot aus, welches natürlich auch nicht von dem Typen organisiert wurde. Mit einem Express für Einheimische, ging es im Tempo für Einheimische, wesentlich schneller als für weiche Touris, bei eintretender Dunkelheit teils übers offene Meer, das schon angefangen hatte rauer zu werden. Das kleine Boot knallte dabei so hart aufs Wasser auf, dass ich mehrfach überlegt habe, wie oft meine Wirbelsäule das noch aushält, bevor sie einfach zerbricht. Auch die anderen wurden seltsam ruhig während diesem Teil der Fahrt und Gespräche kamen erst wieder auf, als wir in die Bucht von Cartagena einfuhren, wo das Meer, vorm Wind geschützt, wesentlich ruhiger war. Am Ende kamen dann zwar alle mit Rückenschmerzen, aber zumindest ebenfalls mit intakter Wirbelsäule wieder in Cartagena an.
Santa Marta
Eine Sache, die mich unendlich stresst in der Karibik, ist der äußerst entspannte Umgang mit Fakten. Zum Beispiel Adressen: Geschäfte, Hotels, Dienstleister. Niemand ist dort zu finden, wo Google Maps es sagt. Das ist am Anfang noch irgendwie interessant, nach dem 4.000 mal aber sehr anstrengend und den Vogel abgeschossen hat ein Airbnb, dass sich in Wahrheit in einem komplett anderen Ort, ca. 20 Fahrminuten entfernt befand. Auf die, zugegebenermaßen etwas genervte, Nachricht, dass er mir die komplett falsche Adresse gegeben hat, kam keine Antwort. Auf Airbnb wurde sie bisher auch nicht geändert. Den Wohnkomplex gefunden habe ich dann auch nur Mithilfe von freundlichen Einheimischen, die gefühlt ganz Kolumbien angerufen haben, um zu erfahren, ob jemand vielleicht so ein gelbes Gebäude mit Swimming Pool kennt. Kannte dann auch jemand, der zufällig, ebenfalls gerade mit dem Motorrad, vorbei kam und random von meinen Helfern angesprochen wurde. Er erklärte sich bereit mir den Weg zu zeigen und fuhr vor. Dem fremden Herren auf dem Motorrad folgend, schickte der Besitzer der Wohnung mir eine Sprachnachricht, dass ich ja nur da an der Ecke von der einen Straße abbiegen soll und dann links oder rechts und dann noch einmal fragen bin ich schon da. Ist doch alles kein Problem bei 38°C in Motorradkleidung. Klar könnte man auch einfach die richtige Adresse aufschreiben, aber hat doch jetzt auch so geklappt. Tranquilo.
Das Haus war dann in einem etwas abenteuerlicheren Viertel, in denen Straßen nur Sandpisten zwischen Häusern waren und die beiden Portiers mich gewarnt haben, nach 20 Uhr nicht mehr vor die Tür zu gehen, da ich wahrscheinlich sonst einfach ausgeraubt werde.
Raub mich aus, aber bitte bring mich nicht um
Weil mich nun schon länger geärgert habe, nicht von Anfang an eine Kamera gekauft zu haben, habe ich angefangen mich nach gebrauchten umzuschauen. Neu sind die in Kolumbien nämlich wesentlich teurer als in Deutschland.
So stieß ich in Santa Marta auf ein Angebot einer GoPro und wir einigten uns, dass das Bar bezahlt werden soll. Das hat mir nicht so gefallen, da die Kamera samt Zubehör ~250 Euro kosten sollte. Das ist in etwa ein Monatslohn in Kolumbien. Weiterhin hier wird einem immer eingeschärft nur das nötige für den jeweiligen Tag mitzunehmen und sich auf keinen Fall mit Unbekannten an unbekannten Orten zu treffen. Erst recht nicht mit einem Monatslohn in der Tasche.
Nun wollte ich aber wirklich diese Kamera und fuhr mit diesem Geld zu der Adresse die er mir gegeben hatte. Und weil ein letzter Funken Vernunft dann aber doch noch seinen Weg ins Bewusstsein gefunden hatte, habe ich mich mit ihm an einem öffentlichen Ort getroffen, um nicht auch noch mir nichts dir nichts mit all dem Geld in das Haus eines Unbekannten zu laufen.
Der öffentliche Ort war dann aber auch nicht gerade Zuversicht schenkend. So sehen Nachbarschaften aus, in denen man einfach gar nicht unterwegs sein sollte, in denen einem bewaffnete Security sagen, dass es Nachts zu gefährlich ist und man Tags dort auch nichts zu suchen hat.
Nervös wartete ich auf den Verkäufer, gespannt was mich nun erwartet. Argwöhnisch fragte er mich was ich wohl tragen würde, damit er mich erkennen könne. Schon lange lange nicht mehr so nervös wie in diesem Moment schrieb ich zurück, dass ich der einzige Ausländer hier sei und er mich schon erkennen würde. Als er dann kam und mich in einem kleinen Small-Talk abschätzte, ob gegebenenfalls ich eine Gefahr für seine Kamera und sein Zuhause war, entschied er sich dagegen und bat mich das Geld zu nehmen und mitzukommen.
Und weil wirklich alle Alarmglocken schrillen und er trotzdem irgendwie sympathisch war und nicht so erschien, als würde er mich ausrauben. Ich aber auch auf gar keinen Fall in diesem Viertel an einem isolierten Ort, alleine mit einem Unbekannten sein wollte. Und ich in Kolumbien noch nie so nervös war wir jetzt, entwich mir folgendes: „Pass auf, mir egal ob du die Kamera hast oder nicht. Raub mich aus, aber bitte bring mich nicht um.“
Er schaute mich an, lächelte, und sagte ich solle hier 5 Minuten auf ihn warten. Er müsse nur noch kurz die SD-Karte löschen und wir machen dann alles hier in der Öffentlichkeit. Ich solle mir keine Sorgen machen. „Vertrau mir“, sagte der Mann, der mir eben noch erzählte, dass er auf meinem Facebook Profil Hannover mit Hanoi verwechselt hatte und mich daher für ein Fake-Profil und Abzocker gehalten hatte. Und so hatte ich 10 Minuten später eine gute, gebrauchte, Kamera in meinem Besitz, habe mich noch ein gutes Stündchen mit dem Verkäufer unterhalten und bin dann glücklich in mein eigenes kleines Problemviertel zurück gefahren.
Palomino
Über Silvester habe ich zwei US-Amerikaner im Hostel kennengelernt, die sich ebenfalls Motorräder ausgeliehen haben. Auf unserem gemeinsamen Tagesausflug nach Palomino, einem Hippie-Dorf, etwa eine Stunde entfernt, sind die ersten bewegten Bilder mit der neuen Kamera entstanden. Auf dem Ausflug werden die 2.000 Kilometer geknackt und ich kann das Motorrad nun endlich uneingeschränkt nutzen…

















Klingt ja sehr abentuerlich.
Kann man nur hoffen das du irgendwann in einem Stück wieder nach Deutschland kommst 😉
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