4.000 Kilometer Kolumbien – Teil II

Nach einem längeren Aufenthalt in Santa Marta habe ich das Gefühl mich gut genug in Kolumbien auszukennen um ein paar der Warnungen meiner Bekannten in den Wind zu schlagen. So mache ich nicht in Riohacha Schluss, sondern fahre hinein in die zweitärmste Region Kolumbiens.

La Guajira

Von Santa Marta geht es der Küste entlang, vorbei an Palomino und Riohacha, dem üblichen letzten Stopp auf der Karibik-Route, bis nach Uribia. Uribia trägt den Titel der Hauptstadt der Indigenen und tatsächlich verändert sich das Aussehen der Menschen hier merklich. Auf dem Weg hier hin sind auch immer wieder, sonst für Kolumbien untypische, Häuser und Dörfchen zu sehen.

Von hier soll es am nächsten Tag bis nach Cabo de la Vela gehen. Das ist der nördlichste Punkt Südamerikas und tief im Gebiet der Indigenen in einem Departamento, dass sich La Guajira nennt, so wie die Wüste, durch die es hier hauptsächlich gehen wird. Es ist einer der ärmsten Teile Kolumbiens und war erst vor kurzem durch einem Korruptionsskandal im Licht der kolumbianischen Öffentlichkeit, da die Verantwortlichen wohl humanitäre Lebensmittel- und Wasserlieferungen nicht an die Bevölkerung weitergeleitet haben.

Mehrfach wurde ich von verschiedenen Kolumbianern an mehreren Orten, besonders entlang der Küste, gewarnt, auf gar keinen Fall hier lang zu fahren. Sie warnten mich auf keinen Fall anzuhalten wenn Menschen an der Straße sind, da dies Fallen seien und mir Hab und Gut gestohlen würde. Auf gar keinen Fall solle ich Richtung Cabo de la Vela fahren ohne eine Tour zu buchen und niemals solle ich einem Indigenen dort trauen. Die extremen Berichte über „die Indigenen“, die einen „immer“ ausrauben, scheinen mir etwas stereotyp, übertrieben und rassistisch angehaucht. Ich erkläre es mir also mit der enormen Armut, statt mit der Tatsache, dass es Indigene sind. Ich erwähne es aber, da die Mär vom bösen Indigenen immer wieder erzählt wurde.

Auch fühle ich mich mittlerweile recht sicher in meiner neuen Art zu Reisen und entscheide mich zum ersten Mal diese Ratschläge zu ignorieren.

Ein Fehler.

Kurz vor Einfahrt in die Stadt, taucht vor mir ein Humvee des kolumbianischen Militärs auf. Die Soldaten hinter dem, auf dem Dach montierten, Maschinengewehr winken mir fröhlich zu, zeigen auf mein Motorrad und Strecken den Daumen hoch. Das passiert hier an der Küste sehr häufig, da meine kleine 24 PS Maschine hier eines der am stärksten motorisierten Motorräder ist und sofort auffällt. Als ich sie Überhole, hupt auch der Fahrer nochmal und als ich einen Blick erhaschen kann, zeigt auch er auf das Motorrad und reckt den Daumen in die Höhe.

Als ich am nächsten Tag in Richtung Cabo de la Vela losfahre, sagt die Hostelinhaberin noch, dass die Reise etwa 2 Stunden dauern wird. „Auf diesem Moto bin ich in 1,5 Stunden da“ entgegne ich ihr, unwissend was mich erwartet. Dann geht es, von Google Maps geführt, durch einen zur Straße umfunktionierten Abwasserkanal hindurch auf eine von Müll überlagerte Fläche mit Trampelpfad. Immer noch Google folgend, komme ich dann nach kurzer Zeit zur Hauptstraße vor der Stadt, die mehr Schlaglöcher als Asphalt hat.

Wer alle Tiere erkennt bekommt einen Bonuspunkt

Nach einer kurzen Phase, in der auch der letzte Asphalt verschwunden ist, und es nur noch über Geröll geht, fängt plötzlich eine Straße an, die nicht älter als ein paar Tage sein kann. Niegel nagel neuer Asphalt führt mich hinein in die Wüste. Und da außer mir nur eine handvoll Menschen hier sind, reiße ich meinen Gashahn voll auf und Brause bei 35 Grad mit 120 km/h eine schnurgerade Autobahn entlang. Mitten in einem scheinbar lebensleeren Raum hinein. Als dann abrupt der Asphalt zu einer Ex-Strasse wurde, und nur noch Geröll den Weg weist, wo einst mal Asphalt lag, lernte ich, wie schnell mein Motorrad von 120 km/h auf nahezu 0 entschleunigen kann. Ziemlich schnell nämlich, war ja auch nicht das erste Mal, dass eine Straße hier einfach aufhört zu existieren. Dennoch war diese rapide Transition eine unerwartete Herausforderung. Auf dem losen feldwegenartigen Untergrund hin und her wackelnd ging es mit 20-40 km/h weiter.

So verging die nächste halbe Stunde, durchgeschüttelt von welligem, ehemaligen, Straßenuntergrund, sowie gelegentlichen Andeutung von vormals glatter Fahrbahn. Steine werden vom Motorrad ständig durch die Gegend geschossen; schlagen mal gegen den Bodenschutz, meist aber fliegen sie in weite Ferne.  Es hilft dem Gemütszustand nicht, dass die Einheimischen mit ihren wesentlich leistungsärmeren Zweirädern ständig an mir vorbeiziehen. Dabei haben sie zumeist mindestens ihre Frau, wenn nicht noch 1-3 Kinder und ggf. Noch den Familienhund dabei. So schweben sie an mir, auf meiner zumindest in Teilen für Off-Road konzipierten Maschine, vorbei und wundern sich wohl, warum ich so lahm bin.

Das liegt nun aber gar nicht an meinen Gefährt, sondern vielmehr an der Unfähigkeit seines Fahrers. Mit nicht mal 3000 km Fahrerfahrung ist das hier einfach zu weit außerhalb meiner Fähigkeiten. So fing ich langsam an mir Gedanken zu machen, ob es nicht geschickter wäre umzukehren.

Sämtliche Gedanken dieser Art verflogen allerdings, als nach etwa einer halben Stunde oder Stunde plötzlich wieder Asphalt auftauchte. Gerade rechtzeitig, als Google mir aus der Tasche heraus verkündete nun links abbiegen zu müssen. Ich musste das Handy zwischendurch in die Tasche verlagern, da es in seiner Handyhalterung bei der enormen Sonneneinstrahlung so stark überhitzte, dass es sich auszuschalten drohte. Glücklich dem Gewackel entkommen zu sein, und wieder Asphalt unter mir zu haben, bog ich links ab und gab wieder Gas. Noch 20 km und dann sind wir am Ziel. Auf dieser Straße, super, dachte ich.

Rechts auf der Straße sehe ich die Gestalt eines Kindes, das die Hand auszustrecken schien. Ich wurde ja gewarnt vor den Bettlern hier und das ich auf gar keinen Fall anhalten solle, um nicht überfallen zu werden. Also fahre ich weiter. Als ich wenige Meter vor ihm bin, lässt das Kind etwas fallen. Keine 2  Sekunden später, als ich auf seiner Höhe bin, fahre ich über ein am Boden liegendes Seil. Komisch, denke ich noch, und sehe die nächste Gestalt am Straßenrand vor mir auftauchen. Ein Junge. Auch er streckt die Hände aus. Und dann, keine 10 Meter vor mir sehe ich, dass er, diesmal gut erkennbar, ein rotes Seil über die Straße gespannt hat. Auf Brusthöhe, damit man bloß anhält. Er lässt es so knapp vor mir fallen, dass ich schon Sorge hatte, es würde sich an mir oder dem Motorrad verfangen.

Noch immer an die Wegelagerer denkend, hört schlagartig der Asphalt vor mir auf. Er wird auch nicht wie zuvor zu einer Geröllpiste. Nein, diesmal geht es durch puren Sand weiter. Lockerer, neuer Sand. Sand auf dem es kaum Grip gibt und in den meine Räder unbehaglich tief einsinken.

Ich bin nun wirklich weit jenseits meiner Fahrkenntnisse angekommen und rutsche einfach nur noch links und rechts durch den Sand. Um die Sache noch schlimmer zu machen, sehe ich wie den Weg entlang ein Haufen Kinder auf ihre Seile zuläuft, um sie über den Sandweg zu spannen.

Zwei, mir entgegenkommende, Motorradfahrer erzählen mir, dass es noch ca 3-4 Kilometer durch den Sand geht und dann aber wieder so etwas wie Straße beginnt.

So quäle ich mich noch zwei drei Kurven weiter und entschließe mich dann doch aufzugeben.  Mitten im Nirgendwo umgeben von Seilen und Kindern, bin ich so weit über meinem Skill-Level, dass ich mir eingestehe hier nicht sinnvoll weiter machen zu können.

Und wie ich die Kehrtwende durch den frischen Sand probiere,  passiert was passieren muss. Das Hinterrad gräbt sich immer tiefer in den Sand ein und bleibt schließlich stecken. So stehe ich da. Umgeben von Kindern, die neugierig schauen und sich langsam nähern. Mitten in einer Wüste bei mittlerweile 38 Grad in voller Montur und ich komme nicht einen Millimeter vor oder zurück

Plötzlich steht ein Junge neben mir, nicht älter als 10, und erklärt mir, dass man im frischen Sand nicht fahren kann und es keine gute Idee ist hier zu Wenden. Das, so denke ich mir, hättest du mir mal vor 5 Minuten erzählen sollen.

Mit hoher Drehzahl und einigem hin und her Gewackel geht es dann doch etwas nach vorne. Noch etwas mehr Power und erneut geht es ein bisschen voran. Noch ein wenig mehr am Gas gedreht und letztendlich bin ich tatsächlich wieder frei. Das ist das Signal für die Kids wieder zurück zu laufen und ihre Seile zu spannen. Während ich langsam den Rückweg über den Sand antrete, merke ich, wie meine Motorwarnleuchte in tiefem Rot vor sich hin leuchtet.

Das Handbuch sagt zu dieser Leuchte, dass ein Motorschaden aufgetreten ist und der Motor sofort abzuschalten ist und überprüft werden muss. Ich denke mir, bzw. hoffe ganz intensiv, dass es ja nur die Überhitzung sein kann, die durch die hohe Drehzahl und den mangelnden Fahrtwind zum Kühlen zustande kam. Abgesehen davon war das ganze Manöver ja dafür da hier so schnell wie möglich raus zu kommen. Also geht es mit überhitztem Motor und leuchtender Warnleuchte zurück über den Sand bis zurück zu dem bisschen Asphalt an der Kreuzung. Und als sich die Seilespanner wieder in Position bringen, halte ich einfach direkt auf sie zu und Hupe bis sie vor Schreck das Seil fallen lassen und von der Straße springen.

Erst mal aus der Situation entkommen, fahre ich nun aber, noch immer in einer Wüste, ein Motorrad mit überhitztem Motor. Dringlich fällt mir auf, dass ich in meiner Überheblichkeit auch kein Wasser dabei habe. Schließlich sollte ich ja in 1,5 Stunden angekommen sein. Es ist mittlerweile Mittags und die Sonne drückt unerbittlich herunter. Weit und breit ist kein nutzbarer Schatten zu sehen. In die kleinen Unterstände am Straßenrand traue ich mich nicht, oder sie sind schon von Einheimischen besetzt. Die Sträucher am Straßenrand bieten kaum Schatten, aber viel Schutz für Leute die eventuell doch böses im Schilde führen. Hier will ich auch nicht anhalten. Der Durst wird immer größer und ich ärgere mich über mich selber, so unvorbereitet gekommen zu sein.

Mitten durch die Einöde führt eine der wenigen Bahntrassen Kolumbiens. Sie verbindet den Hafen noch weiter im Norden mit „La Mina“, eben jener größten Kohlemine des Kontinents, die letztes Jahr auch Deutschland fleißig versorgt hat, als das Gas drohte knapp zu werden. Unter einer der Brücken erhoffe ich mir etwas Schatten für Mensch und Maschine zu finden. Doch kaum dort angekommen, kommt ein Security. Vermummt zur Unkenntlichkeit, aber stark bewaffnet gibt er mir zu verstehen, dass hier Halteverbot besteht. Er musterte mich noch etwas, und verschwand dann wieder im leeren Raum der Wüste. Wo er herkam, wie er mich entdeckte und wo er hin verschwand ist mir bis heute unklar. Was jedoch klar war, war dass ich, der immer noch leuchtenden Warnleuchte zum Trotz, noch etwas die Piste entlang musste um einen schattigen Platz zum Ausruhen und Abkühlen zu finden. Einige Kilometer weiter sah ich auf der linken Seite eine Art Parkplatz neben den Schienen. Dort standen auch ein paar wenige Bäume, unter denen andere Security Zuflucht vor der Sonne suchten. Ich stellte mich dazu, erklärte meine Situation und durfte mich zu ihnen gesellen. Neidisch beobachtete ich den Einen beim Trinken seines Wassers, war dann aber doch zu blöd nach Wasser zu fragen. So weit konnte es ja nach Uribia nicht mehr sein, dachte ich.

Ein Sendemast entlang der Eisenbahntrasse

Sie erzählten mir von den vielen Anschlägen auf die Bahn und das daher so viele Security hier postiert sind. Warum es zu den Anschlägen kam sagten sie aber nicht. Nachdem wir ein wenig im Schatten verweilen, startete ich das Motorrad wieder und tatsächlich ist die Leuchte erloschen. Es geht zurück auf die Piste. Innerhalb kürzester Zeit begann der Abschnitt mit dem neuen Asphalt und ich ballere mit einsetzenden Kopfschmerzen zurück Richtung Uribia. Hin zum Wasser.

Der Humvee vom Vortag ist nun gemeinsam mit einem Transporter am Stadteingang geparkt. Die Soldaten stehen die Hauptstraße entlang mit ihren Maschinengewehren und schauen dem Verkehr zu. Ich erkenne einige von ihnen wieder. Man grüßt sich freundlich.

Im Hostel angekommen trinke ich bestimmt drei Liter um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Ob ich es wohl in 1,5 Stunden geschafft habe, will meine Gastgeberin nach Trinkgelage und kalter Dusche wissen. Ich erzähle ihr von meiner Niederlage im Sand und sie lacht mich ein wenig aus. Im Sand sagt sie, da muss man einfach nur etwas Luft aus den Reifen lassen. Das erhöht die Reibung, das weiß doch jeder, führt sie weiter aus. Auch ihre Mutter, eine sonst immer sehr streng blickende Indigene Frau lächelt ein wenig. Allerdings, so habe ich das Gefühl, mehr aus Mitgefühl als amüsiert über mein Aufgeben.

Manaure

Um mich aber dennoch vom karibischen Meer zu verabschieden und auch um diesen Tag etwas zu retten, fahre ich ins benachbarte Manaure. Es ist eine kleine Stadt am Meer in etwa 20 km Entfernung. Die Straße ist in gruseligem Zustand und stellenweise ist mehr Schlagloch als Straße vorhanden. Aber: Es ist eine Straße!

Die Stadt, bzw die Strandpromenade, macht einen verlassenen und verwahrlosten Eindruck und ich bin froh in Uribia untergekommen zu sein. Direkt sprechen mich zwei Teenager an, vielleicht um die 13/14 Jahre. Begeistert fragen sie nach dem Motorrad. Wie schnell es fährt, wie viel es gekostet hat, ob ich wirklich von Bogotá bis ganz hier her gekommen bin?

Nachdem wir uns ein wenig unterhalten haben, gaben sie mir den Hinweis lieber vor Einbruch der Dunkelheit zu verschwinden. Davor aber sei es sicher hier. Nur die Sachen würden sie lieber nicht am, verlassenen, Strand liegen lassen. Zu gefährlich.

In einer Strandbar, die keine Gäste hatte, frage ich also, ob sie auf meine Sachen aufpassen könnten. Und nach einem letzten Bad im karibischen Meer verwickeln die äußerst freundlichen, natürlich ebenfalls Indigenen, Besitzer mich in eine kurzweilige, mehrstündige, Unterhaltung über das Leben in La Guajira, das Reisen, Studienkosten in Kolumbien und Träume im Leben. Als die Sonne drohte unterzugehen, löste ich mich, beherzigte den Ratschlag der Teenies und für zurück nach Uribia.

Der Strand von Manaure

Abreise

Am nächsten Tag hat das Militär Checkpoints aufgebaut und kontrolliert wegen erhöhter Terrorismusgefahr den Ein- und Ausgehenden Verkehr aus La Guajira.  Als Ausländer interessieren sie sich nicht sonderlich für mich, wohl aber für das Motorrad. Wie schnell es fährt, wie viel es gekostet hat, ob ich wirklich von Bogotá bis ganz hier her gekommen bin?

Ich verlasse die Wüste und folge den Schienen, hinein ins grüne Tal weiter im Landesinneren. Irgendwann lasse ich auch die Schienen und La Mina hinter mir. Vor mir in der Ferne türmen sich die Bergketten Venezuelas auf. Entlang der Grenze, im Tal zwischen kolumbianischen Gebirge und den Bergen des verbotenen Landes, geht es Richtung Valledupar.

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